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Rummelplatz all over

Auf Betriebsausflug im „Kunstflur Spandau“: Im ehemaligen Heeresgasschutzlabor auf der Zitadelle Spandau üben junge Künstler die zivile Nutzung  ■   Von Katrin Bettina Müller

Nach jeder Eröffnung im „Kunstflur“ Spandau wird ein Info-Brief verschickt: Da sieht man auf kleinen Fotos den Kulturstadtrat und die Kunstamtsleiterin des Bezirks, die geladenen Redner wie den Fotohistoriker Enno Kaufhold oder die Kuratorin Barbara Straka, die Künstler natürlich und wer sonst noch so gekommen ist. Das hat etwas von Klassentreffen und Betriebsausflügen: Die Kunstszene Berlins zu Gast auf der Zitadelle.

Den Wassergraben überquert man noch im Verein mit Kindern, die zum Puppentheaterfest oder auf Kanonen reiten wollen, und Reisegruppen, die zur Festungsgeschichte geführt werden. Dem Hinweisschild zum „Kunstflur“ folgen nur wenige der Ausflügler: Kein Wunder, denn attraktiv ist das aus den dreißiger Jahren stammende Laborgebäude nicht. Hier wurden bis 1945 Gasmasken getestet, und später wurde die Bergung von Giftgasstoffen, die kurz vor Kriegsende auf diesem Gelände „entsorgt“ worden waren, organisiert.

Erst seit anderthalb Jahren werden die früheren Labors an Künstler vermietet als Teil des Programms, die Bastion als museales und kulturelles Gelände weiterzuentwickeln. Doch darauf zu warten schien Martin Sauerborn und Michael Sobottka, Mieter in den selbstrenovierten Ateliers, zuwenig. So haben sie mit ihrem „Kunstflur Spandau“ einen Vorposten der Kunstszene in die Festung geschmuggelt.

„Wir sind zwei altgediente Kunstpferde“, meint Sauerborn, und tatsächlich waren er und Sobottka schon in Künstlergruppen, Produzentengalerien und Ausstellungsorganisation engagiert, bevor Networking und Clubs zum Signum der neunziger Jahre wurden. Für den „Kunstflur“ hoffen sie demnächst jüngere Künstler – nicht nur aus Berlin – gewinnen zu können.

Im Oktober beginnt die Ausstellungsreihe „Schwarzer Block“, in der sich die Berliner Konzeptkünstler Volkhard Kempter, Hansjörg Schneider und Michael Sobottka mit spröden und sperrigen Installationen über die Durchgangssituation der 30 Meter langen und fast 5 Meter hohen Galerie hermachen werden.

Den Anfang der thematischen Ausstellungsreihen machte das Projekt „Referenz“ der Fotografen Hans-Peter Klie, Akinbode Akinbiyi und Gerhard Haug, die auf je unterschiedliche Weise mit dem Referenzobjekt in der Fotografie umgingen. Klie, der sich mit der allmählichen Begriffsbildung beim Wiedererkennen von Bekanntem und in der Wiederholung von Motiven beschäftigte, türmte seine Fotografien in schmalen Bildersäulen bis unter die Decke. Gerhard Haug empfängt den Besucher mit „Spandau all over“, neun Bildern vom Rummelplatz, die eintauchen in den Wirbel einer Karussellfahrt. Die verwischten Lichtpunkte, Strudel und Drehmomente, die in den nächsten Serien folgen, nimmt man hin als Schwindel und Sinnesrausch.

Doch es dauert, bis man begreift, daß es Haug nicht um das Motiv, sondern um die Bilderzeugung geht. Die Funktionsweise des Apparates und die Möglichkeiten des Labors sind seine Referenten in der Wirklichkeit. Zwei kleine Fundstücke liegen unter den Bildern, eine zerbeulte Blechschüssel und geprägte Glasplatten. Dahinein taucht sein fotografischer Blick, entdeckt wimmelnde und dynamische Strukturen, die das Licht in den Objekten erzeugt.

Titel wie „Outside the harddisc“ für die verzerrten Spiegelungen in der Schüssel oder „Software“ für Trauben aus Lichtreflexen verorten Haugs Arbeit an der Schwelle der digitalen Bildbearbeitung. Doch der vielbeschworene virtuelle Raum, konstatiert der Künstler in seinen Bildern, beginnt nicht erst jenseits der analogen Medien. In ihm bewegt sich, wer seine Bilder aus Licht baut. Doch das geschieht beiden Fotografen seit jeher. „Referenz“: Kunstflur Spandau, Zitadelle, tgl. 15–19 Uhr, bis 4. Juli

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