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Laut, bunt, traurig und mahnend

Heute fällt die Entscheidung über das zentrale Holocaust-Denkmal in Berlin. Dort, wo es stehen soll, haben sich die Berliner mit Zetteln und Spraydose am Bauzaun längst entschieden: „Die Debatte ist das Mahnmal“  ■   Von Rolf Lautenschläger

Als vor einigen Jahren Berlins damaliger Bausenator Wolfgang Nagel den Parkplatz gegenüber der Humboldt-Universität für ein Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nazis 1933 vorschlug, räumte die Stadt ohne Zögern die Fläche von den Autos frei. Jeder sollte sehen, alle sollten den Ort begehen können, wo später einmal das Mahnmal realisiert werden würde. Der Platz war quasi freigegeben für den Diskurs im öffentlichen Stadtraum. Angesichts der strittigen Diskussion über den Standort sowie die Gestaltung des geplanten „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ könnte man erwarten, daß das Areal am Brandenburger Tor sich noch weitaus offener den Interessierten zeigt.

Doch in der Stadt, wo jeder popelige Investor mit Grundstücksbegehungen oder BaustellenEvents von sich reden macht, hat das Land die fußballfeldgroße Brache mit einem Bretterzaun vom Stadtraum abgetrennt. Als wollte sie den Ort verstecken, als wollte sie ihn des Themas wegen schamhaft vor der Öffentlichkeit verbergen, markiert die Fläche für das Holocaust-Mahnmal heute eine Leerstelle im Stadtgrundriß.

Aber die Terra incognita zwischen dem Leipziger Platz und dem Brandenburger Tor, zwischen den Baustellen für die Ländervertretungen, an der tagtäglich Hunderttausende vorbeifahren und Touristen auf dem Weg zum Pariser Platz, dem Reichstag oder zu den Hochhäusern am Potsdamer Platz entlang flanieren, ist gleichzeitig zu ihrer Verbarrikadierung zum öffentlichen Ort geworden: zum Ort für eine res publica, die mit dem Verschluß des Geländes mit ihrer Meinung aufmacht.

Mag sein, daß der typisch deutsche Unterton in der Warnung „Zettel ankleben verboten“ den Ausschlag gegeben hat, die Bretter- zur Plakatwand umzufunktionieren. Sicher ist, daß sie Spiegel des zehn Jahre alten Mahnmalstreits ist und diesen weiterführt: laut, bunt, aktionistisch, traurig und mahnend.

Vor der auf gut 100 Meter plakatierten Wand drängen sich die Kameras, speakerscornermäßig werden Statements gegeben und Diskussionen entzündet. „Warum ist Mister Diepgen gegen das Mahnmal?“ fragt ein amerikanischer Tourist den Interviewer von Sat.1. „Sind Sie dafür?“ fragt der hilflos zurück.

Wer für und wer gegen das Holocaust-Mahnmal ist, verkünden die Aufmacher bundesdeutscher, jüdischer und ausländischer Journale, die den Verlauf der Ausschreibungen, Wettbewerbe und deren Ergebnisse nachzeichnen: „Grabplatte, Steinfeld, Gigantismus, Kranzabwurfstelle“.

Wohl kaum hat ein Thema die öffentliche Diskussion in den vergangenen Jahren so inspiriert, so gequält und so gefordert, daß man sich nun über die Assoziationen an der Wandzeitung nicht wundern muß. „Nie wieder Krieg“ steht da neben „Ich mag Dich, Mahnmal“. Und der zehnjährige Streit, der auch die Unfähigkeit der Deutschen im Umgang mit der ungeliebten Geschichte symbolisiert, schlägt sich nieder in den gesprayten Sätzen: „Dieser Ort ist schon das Mahnmal“, „Die Debatte ist das Mahnmal“.

Ob der Entwurf „Eisenman II plus“ oder Schröders Stele oder das Gezänk um Verfahren zwischen Staatsminister Naumann und dem Förderkreis, der Zaun ist öffentlicher Raum für die, die noch nicht einverstanden sind mit den Plänen oder gar der Bundestagsentscheidung heute. Der „Initiativkreis gegen den Schlußstrich“ will weitere Debatten: „Gegen das Ende der Auseinandersetzung mit dem NS-Regime“ wird plakatiert neben Postern des Förderkreises um Lea Rosh, die die Errichtung des Mahnmals angeschoben hatte: „Hier ist der Ort!“.

Und immer noch gibt es Ideen für „Alternativentwürfe“. James Young etwa hat seinen „Davidstern“ aufgehängt. Gisela Falkenau präsentiert einen neuen Paradiesgarten und bittet um Unterschriften. Sie alle werden keine Chance in dem Verfahren haben. Egal. Es gesagt zu haben, an der Klagemauer des Holocaust-Geländes, ist wichtig.

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