: Verwirrte Fraktionschefs
■ Selbst Schlauch und Struck schauten bei Rente und Ökosteuer nicht mehr durch
Berlin (taz) – Nicht alle Defizite lösen sich unter den neuen Spar- und Rentenbeschlüssen in Wohlgefallen auf. Und manchmal sind auch Fraktionschefs überrascht davon. Um 2,3 Prozentpunkte, hatten am Dienstag noch Peter Struck (SPD) und Rezzo Schlauch (Grüne) erklärt, würden bis 2003 die Rentenbeiträge sinken können. Freilich hatten die beiden ihre eigene Kabinettsvorlage falsch verstanden und Zahlen nochmals aufaddiert, die schon aufaddiert waren. „Hatten wir nicht mal mehr beschlossen?“ So in etwa mag es ihnen durch den Kopf gegangen sein. Tatsächlich werden die Rentenbeiträge nur um einen weiteren Prozentpunkt bis 2003 gesenkt werden können, wie die beiden inzwischen einräumen mußten.
Eigentlich sollten, so hatten SPD und Grüne im Koalitionsvertrag und noch einmal im Frühjahr beschlossen, die Einnahmen der Ökosteuer jährlich um 11 bis 12 Milliarden Mark steigen, um jedes Jahr den Rentenbeitrag um 0,8 Prozent senken zu können – und damit in der laufenden Legislaturperiode die Lohnnebenkosten wieder unter die magischen 40 Prozent zu drücken. Das hätte aber vorausgesetzt, daß die Rentenausgaben nicht weiter anschwellen. Genau das ist aber der Fall. Deshalb reichen die knapp 5,4 Milliarden Mark, um die die Ökosteuereinnahmen nun jährlich bis 2003 anwachsen sollen, nur für eine weitere Absenkung der Rentenbeiträge um jährlich 0,3 Prozentpunkte.
Damit nicht genug: In diesem Jahr waren die Rentenbeiträge bereits mit dem ersten Ökosteuerschritt um 0,8 Prozentpunkte gesenkt worden. Doch die Steuereinnahmen (gut 11 Milliarden pro Jahr) reichten dafür gar nicht aus. Es wird also eine Nachzahlung von 0,6 Milliarden Mark jährlich fällig, die die geplante Senkung dieses Jahr belastet. Schließlich rechnet die Bundesregierung mit einem weiteren allgemeinen Defizit von 1,7 Milliarden Mark, weil die Zahl der Rentner zunimmt.
So bleibt für dieses Jahr von der Lohnnebenkostensenkung gerademal 0,1 Prozent übrig. Und von 2001 bis 2003 kommen jährlich dank der verschlankten Ökosteuer (jährlich nur noch ein halber Pfennig Stromsteuer pro Kilowattstunde mehr und sechs Pfennig mehr auf den Liter Benzin) jeweils 0,3 Prozentpunkte hinzu. Unterm Strich bleibt eine dicke Enttäuschung: Bis zum Ende der Legislaturperiode werden die Rentenversicherungsbeiträge bestenfalls um 0,8 Prozentpunkte aus dem ersten Schritt und weiteren 0,7 aus den drei nächsten Schritten sinken, macht bloß 1,5 Prozentpunkte statt den angekündigten 2,4. Koalitionsverträge sind eben geduldig. Nur kriegen das Fraktionschefs manchmal nicht so richtig mit.
Matthias Urbach
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