■  Heute will der Bundestag – nach 16jähriger öffentlicher Diskussion – über das im Herzen Berlins zu errichtende Mahnmal für die ermordeten Juden Europas entscheiden. Die Hauptstadt-CDU überlegt schon, ob sie dem Denkmal die Baugenehmigung verweigern kann
: Was lange währt, wird endlich Stein

Um das Gelände, auf dem irgendwann das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas errichtet werden wird, steht ein Bauzaun. Flugblätter, Zeitungsartikel und Plakate kleben daran, letztere sowohl gedruckt als auch handgeschrieben. Auf einem ist zu lesen: „Die Debatte um das Mahnmal ist das Mahnmal“. Dieser Satz stammt, leicht abgewandelt, von dem amerikanischen Historiker James E. Young, und er fiel auf einem der drei Kolloquien, die im Frühjahr 1997 vom Berliner Senat veranstaltet wurden, damit man sich Klarheit verschaffe, wie ein Denkmal, das an millionenfachen Mord erinnern soll, denn nun auszusehen habe. Vielleicht dachte er dabei an den Weg, der das Ziel ist, vielleicht wollte Young auch nur ein bißchen nett sein, jedenfalls baute er seinen Gastgebern damit eine goldene Brücke, die sich inzwischen zum Super-Highway ausgewachsen hat. Kein Witz: Einer der Vorschläge der letzten zwei Jahre lautete tatsächlich, das Mahnmal sei eigentlich nicht mehr nötig – schließlich habe man darüber schon genug geredet.

Andererseits: Es stimmt. Geredet worden ist wirklich genug im Verlauf der Debatte, wenn auch mit insgesamt eher zweifelhaften Ergebnissen. Gezeigt hat sich vor allem eins: Die Angehörigen der Täternation haben ganz offenbar ihre Schwierigkeiten mit dem Gedenken an den Holocaust. Das ist kaum verwunderlich. Bisher wurden Denkmäler entweder anläßlich historischer Siege erbaut oder in Erinnerung an heroische Niederlagen. Das geplante Holocaust-Mahnmal, wie es längst verkürzt genannt wird, ist das erste, das ein gigantisches Verbrechen zum Thema hat. Dies schafft erhebliche geistige Verwirrungen. Plötzlich verlaufen die Grenzen zwischen Zustimmung und Ablehnung quer durch die politischen Lager, werden Bündnisse und Koalitionen eingegangen, die noch vor kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Linke applaudieren Bundeskanzler Kohl, während die Thesen von Nachfolger Schröder jedem strammen Rechten vor Rührung das Wasser in die Augen treiben.

Die Denkmalsentwürfe kamen und gingen. Es begann im Jahr 1983 mit der Ausschreibung des Wettbewerbs für ein „Mahnmal für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft“. Als Standort vorgesehen war das Brachland zwischen Martin-Gropius-Bau und Wilhelmstraße an der Berliner Mauer. Die Jury entschied sich seinerzeit für den Entwurf der Künstler Nikolaus Lang und Jürgen Wenzel: Die beiden hatten vor, das Gelände mit dünnen Stahlplatten zu versiegeln. Doch der Berliner Senat weigerte sich, die Juryentscheidung anzuerkennen. Ironie der Geschichte: 1986 wurden bei Erdarbeiten auf dem Gelände zufällig Reste der ehemaligen Gestapo-Zentrale gefunden. Ein Jahr darauf eröffnete die vom Historiker Reinhard Rürup konzipierte Ausstellung „Topographie des Terrors“, die zum Ziel hat, über die Funktionsweise des Nazi-Regimes aufzuklären. Aus dem Provisorium ist mittlerweile eine Dauereinrichtung geworden.

1989 dann trat erstmals die „Perspektive Berlin“ der Fernsehjournalistin Lea Rosh auf den Plan. Im Januar veröffentlichte die Initiative den ersten Aufruf zum Bau eines „Mahnmals für die ermordeten Juden Europas“. Im Juni desselben Jahres forderte die Perspektive Berlin vier Künstler – Horst Hoheisel aus Kassel sowie die Berliner Ruth Gindhardt, Paul Pfarr und Georg Seibert – auf, Modelle für ein Holocaust-Mahnmal vorzulegen. Pech für Rosh, daß sie sich in den Kopf gesetzt hatte, das Mahnmal solle auf dem Areal entstehen, das für die Topographie des Terrors reserviert war. Also wird ein neuer Ort gesucht und gefunden: die sogenannten Ministergärten in der Nähe des Brandenburger Tores. Nun beauftragte die Perspektive Berlin den Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann, ein gestalterisches Konzept zu entwickeln. Szeemann präsentierte sein „integriertes Denkmal“ mit Werken von Künstlern wie Richard Serra und Christian Boltanski, Dokumentationzentrum und einem „Erlebnisweg“. Auch diese Variante hatte sich bald wieder erledigt.

Im April 1994 wird ein weiterer Wettbewerb ausgeschrieben, Auslober ist Bausenator Wolfgang Nagel. Sage und schreibe 528 Entwürfe gehen bei der Berliner Bauverwaltung ein. Aber viel hilft eben nicht immer viel. Den ersten Preis teilen sich der Kölner Simon Ungers und eine vierköpfige Künstlergruppe um die Berliner Bildhauerin Christine Jackob-Marks. Besonders das von Lea Rosh favorisierte (hartnäckige Gerüchte sagen: auch extra bestellte) Modell von Christine Jackob-Marks, Hella Rolfes, Hans Scheib und Reinhard Stange wird vehement verrissen.

Zum ersten Mal wird grundsätzliche Kritik an dem Vorhaben laut. Von Ablaßhandel ist die Rede, von einem „Gründungsopfer“ der jungen Berliner Republik, die mittels einer offiziellen „Kranzabwurfstelle“ einen „Schlußstrich“ ziehe und die „lebendige Auseinandersetzung“ mit dem Holocaust beende. Die Vorbehalte kommen von Leuten, die eine tiefsitzende Skepsis gegenüber der Wirkungsmacht von staatlich zelebrierten Trauerritualen haben. So nachvollziehbar dies auf den ersten Blick erscheint, letztlich einleuchtend sind die Einwände nicht. Wenige Jahre zuvor hatten dieselben Stimmen das protokollarische Gedenken sehr wohl als authentisch empfunden – damals, als Kohl den US- Präsidenten Reagan zu gemeinsamem Gedenken zu den SS-Gräbern nach Bitburg lotste.

Im Sommer 1997 findet der nächste Wettbewerb statt: 25 international renommierte KünstlerInnen und ArchitektInnen werden eingeladen. 19 davon sagen zu, außerdem sind die acht Entwerfer der im ersten Anlauf belobigten Vorschläge aufgefordert, ihre Modelle noch einmal zu überarbeiten. Bei der anschließenden Jurysitzung kommen vier Modelle in die engere Wahl. Sie werden im November 1997 in einer Ausstellung gezeigt: Allgemein die breiteste Zustimmung erhalten der New Yorker Architekt Peter Eisenman und sein Landsmann, der Bildhauer Richard Serra. Zu Recht, die suggestive Rauminstallation mit rund 4.000 in einem regelmäßigen Raster auf dem Grundstück verteilten Betonpfeilern ist sicher der künstlerisch bedeutendste der bisherigen Entwürfe.

Aber auch das ist anscheinend nicht gut genug. Den einen ist das Mahnmal zu beliebig, den anderen zu düster. György Konrad, Präsident der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, schlägt vor, statt dessen einen Kinderspielplatz zu bauen: Das Erinnnern an die Toten möge fröhlich geschehen. Noch vor den Bundestagswahlen wird das Modell von Eisenman und Serra überarbeitet. Nun sind es nur noch rund 2.700 Pfeiler, die von einer lockeren Baumbepflanzung eingerahmt werden. Doch der neue Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, mißtraut der Kunst. Er plädiert dafür, das Denkmal mit einer Dokumentations- und Forschungsstätte zu kombinieren. „Eisenman plus“ sprengt den Rahmen: Die Kosten steigen von 16 auf 150 Millionen Mark. Dann schlägt die Stunde des Theologen Richard Schröder, der – edle Einfalt des Gläubigen – fordert, man solle ein Mahnmal bauen, daß als hervorstechendes Merkmal den Satz „Du sollst nicht morden“ in sich trägt. Richtig, das sollst du nicht, morden – auf diesen universellen Infantilismus kann sich wirklich jeder verständigen.

Bei all dem tun die Beteiligten so, als bestünde keine Eile. Die Lösung einer so wichtigen Aufgabe dürfe man nicht überstürzt angehen, heißt es, man müsse weiter daran arbeiten, sagt beispielsweise der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, einer, der das Denkmal – wenigstens in seiner Heimatstadt Berlin – definitiv nicht will. So ist es auf dem besten Weg, ein echtes Täterdenkmal zu werden – die Opfer spielen keine Rolle. Dabei gibt es viele, die auf ein solches Zeichen der nationalen Reue sehnlich warten. Ulrich Clewing

Das geplante Mahnmal ist das erste nationale Denkmal, das ein gigantisches Verbrechen zum Thema hat. Dies schafft erhebliche geistige Verwirrungen