Kommentar: Halbherzig
■ Nachhaltige Stadtentwicklung nicht in Sicht
Wenn von den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts die Rede ist, ist der Begriff Nachhaltigkeit nicht weit. Eine Stadtentwicklung, die sich dem Schutz der vorhandenen Ressourcen, den kommenden Generationen und dem Ausgleich sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Ziele verpflichtet sieht, wurde bereits 1992 in Rio angemahnt und 1996 bei der Weltsiedlungskonferenz in Istanbul bestätigt.
Keine schlechten Voraussetzungen eigentlich, das Schlagwort auch in konkrete Politik umzusetzen. Doch der Schein trügt. Zwar mahnen zahlreiche lokale Agenda-Initiativen bereits seit Jahren ein Umdenken in der Berliner Stadtentwicklungspolitik an. Bei den Politikern der Großen Koalition freilich scheint davon noch nicht allzuviel angekommen zu sein. Das gilt nicht nur für Verkehrssenator Jürgen Klemann. Auch Stadtentwicklungssenator Peter Strieder nimmt es, trotz gegenteiliger Behauptungen, mit der Nachhaltigkeit nicht allzu ernst.
Bestes Beispiel ist der Stadtentwicklungsplan Wohnen. Wie schon beim Flächennutzungsplan werden hier Wohnungsbaupotentiale ausgewiesen, die allein aufgrund ihrer Größenordnung an die euphorischen Wachstumsprognosen nach dem Mauerfall erinnern. Das gleiche gilt für das Planwerk Innenstadt. Eine falsche Politik wie die von Klemann betriebene Eigenheimförderung am Stadtrand wird nicht nachhaltiger, indem man – eben nicht alternativ, sondern zusätzlich – 23.000 Wohnungen im Zentrum baut. Warum hat die Kunde vom negativen Bevölkerungssaldo nicht auch die Diskussion um Nachhaltigkeit erreicht? Warum sucht man noch immer nach qualitatitven Wachstumskonzepten, wenn schon längst Konzepte einer nachhaltigen Schrumpfung gefordert sind?
Die wenig konkrete Diskussion um die künftige Berliner Stadtpolitik ist aber nicht nur der ungebrochenen Wachstumsgläubigkeit der Koalition geschuldet, sondern auch der mangelnden Präsenz der Opposition. Um den potentiellen Koalitionspartner SPD nicht zu brüskieren, akzeptiert man Strieders Mogelpackung, anstatt sie zu attackieren. Das ist zwar auch nachhhaltig, aber nur nachhaltig halbherzig. Uwe Rada
Seite 20
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen