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Anflüge von gefährlicher Ehrlichkeit

■ In der Party-Zone: „Raus in diese Welt“ und „Kabale und Liebe“ im modernistischen Gewand bei „Die Wüste lebt“

Ein Mensch, auf sein Sprechorgan reduziert. Diesen schwierigsten Part der Inszenierung Raus in diese Welt – unter Verwendung von Samuel Becketts Nicht ich – übernimmt die Regisseurin Dana Csapo selbst. Ein Lichtkegel hebt die grell rot geschminkten Lippen hervor, das Einzige, was die schwarze Gesichtsmaske offenbart. So monologisiert sie 15 Minuten lang lebhaft über eine seltsame Kontaktlosigkeit mit dem eigenen Leben.

In der anschließenden Szene am Rande einer Party beschnuppern sich Zwei. Sie schiebt die laszive Nummer, er mimt den Trotzkopf. Nachdem sie sich eine Weile aneinander herangetastet haben, spielen sie miteinander wie sie auch sonst mit ihrem Leben spielen. Variationen der Sinngebung werden ausprobiert – mit Knarre, Erotik und Anflügen von gefährlicher Ehrlichkeit. Er: „Ich hätte niemals gedacht, daß ich überhaupt fähig wäre, zu lieben, meine Seele auf einen Präsentierteller zu legen und zu sagen: Willst Du mal kosten?“ Man ahnt es bereits, daß er verletzt wurde. Sie empfindet ihr Leben als Schlafmittel: “Ich habe dann versucht, mir meine Lebensgeschichte zu erzählen. Das Schafezählen habe ich immer für ziemlich bescheuert gehalten, aber ich dachte mir, mit meiner Lebensgeschichte könnte es funktionieren.“ Die permanente Selbstbeobachtung hält die Charaktere gefangen. Die Produktion der drei Studenten des Wiener Max-Reinhard-Seminars war eine große Bereicherung des Festivals Die Wüste lebt.

Visuell noch aufregender kam Tina Seelands Kabale und Liebe daher. Die 25jährige Hamburger Regisseurin hat als Sozialarbeiterin schon mit „diversen Randgruppen dieser Gesellschaft gearbeitet“. Schillers Luise hat für sie ein vorherbestimmtes Schicksal: Diesen Typus, der von vornherein keine Chance hat, überträgt sie mit einer Tanzinszenierung ins Heute. Eine Schickeria, die sich an Schwachen aufgeile, wäre heute der Luise ausgrenzende Hofadel von damals. Mager-Models, ganz in futuristischem Weiß gekleidet, produzieren sich zum House von DJ Mirko Lütkemeyer. Luise stößt dagegen in brauner Latzhose und orangenem Pluderhemd noch völlig unvoreingenommen zu der Edel-Truppe. Sie wird mit dekadenten Spielchen fertiggemacht. Von Ferdinand, der sich durch Kleidung und Tanzstil immer wieder in die Schickeria eingliedert, kann sie keine Hilfe erwarten. Während Luise leidet, probiert er die neuesten Breakdance-Kombinationen aus. Aber Seeland hat Luise die Stärke gegeben, sich rauszuziehen aus diesem Fashion-Sumpf. Selbstbewußt steht sie am Ende da – und allein.

Stefanie Heim

heute finden die beiden letzten Inszenierungen im Rahmen von „Die Wüste lebt“ statt: „Der Zoo scheint leer, leblos“ (20 Uhr); „Käthe“ (22 Uhr)

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