: Krieg war.
■ Krieg war. Serben gegen Kosovo-Albaner. Nato gegen Serbien. Und die Einfachen Leute haben wieder das Pech, Einfache Leute zu sein. Das ist gerade vier Wochen her. Und jetzt werden die Leichen ausgebuddelt. Bei uns sind die Ferien im Friedenskampf ausgebrochen / Von Berni Kelb
Eimol neidappt langt – wie der Schwabe sagt. Frieden! riefen sie nun wieder alle. Diesmal wg. Kosovo. Frieden – da steht ihnen schon das Maul nach. Und jeder meint etwas anderes damit. Das ist so, wie mit der Freiheit auch – Quatsch, wenn es allein steht. Das eine ist ohne das andere dauerhaft nicht zu haben. Die Serben ließen sich von Milosevic erzählen, Frieden sei, wenn das Kosovo frei von Albanern ist. Und er meinte wohl, dann gäbe es ein Großserbien, und er könnte König werden. Der GröFaZ (Größte Führer aller Zeiten), unser Adolf, der wollte ja auch nach seinem Endsieg Kaiser des Großdeutschen Reiches (Europa) werden. Andernfalls sollte Deutschland lieber untergehen. So sind sie. Jetzt haben sie ihr ethnisch reines Kosovo. Fast lupenrein. Nur andersrum.
Der populistische Ruf nach Frieden erinnert an die späten Vierziger Jahre. Die Russen hatten damals noch keine Atombomben. Das war in Stalins Machtpoker ein Nachteil. Was machten sie also? Sie inszenierten in Stockholm – allein der Name der Stadt klingt ja schon so schön neutral – einen WELTFRIEDENSKONGRESS, und ließen dort den berühmten APPELL VON STOCKHOLM verabschieden: Jeder Staat, der als erster in einem künftigen Krieg eine Atombombe einsetzt, sollte von der ganzen Welt als Kriegsverbrecher behandelt werden. Nachtigall, icke hör dir trapsen – wie der Berliner sagt.
Stalin, „der große und weise Führer der Weltfriedensfront“ – so wurde er zu der Zeit tatsächlich betitelt – hat das als einer der Ersten mit unterschrieben. Und wir alle, wir jungen und alten Parteikommunisten auf der ganzen Welt, so auch in Hamburg, sind losgezogen und haben Unterschriften für den STOCKHOLMER APPELL gesammelt.
Ich selbst bin im Herbst 1949 mit meinen fünfzehn Jahren von der FDJ in Hamburg mit der MEDAILLE JUNGER FRIEDENSKÄMPFER ausgezeichnet worden, einer blauen Schleife, vier cm breit und einen hoch aus Emaille auf Messing, zum Anstecken. Dafür, daß ich so etwa ein halbes Dutzend Leute in Hamburg-Steilshoop überredet habe, den APPELL zu unterschreiben.
Frieden – das hehre Wort, seine Uneindeutigkeit und die damit verbundenen semantischen Implikationen – damit wollen wir uns jetzt nicht aufhalten. Hier haben wir es mit dem Kosovo zu tun. Und es ging um Krieg.
Dabei ist allein schon dieser Begriff von vorgestern, wie auch das ganze sogenannte Kriegs- und Völkerrecht. Das stammt überwiegend aus einer Zeit, als es in Europa noch nicht einen ordentlich demokratisch verfassten Staat gegeben hat. Und die ganzen Regeln der Diplomatie dienten hauptsächlich dazu, die Willkür einiger Selbstherrscher etwas zu bremsen. Und außerdem galt es, daß den Besseren Leuten – wozu Offizieren stets zählten – gegenseitig nichts angetan würde, wenn etwas schiefgehen sollte. Darauf hat sich ja sogar Guillaume noch berufen, als er aufgeflogen war: Die Offiziersehre sei zu respektieren!
Es ging um Krieg. Und – das muß deutlich gesagt werden: Krieg ist Krieg. Der Volksmund in seiner weisen Formulierungskunst hat das schon vor langer Zeit auf einen Nenner gebracht: In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt. Aber die Advokaten haben da einen Stolperstein gesetzt: Krieg ist nur, wenn er „erklärt“ worden ist. Wenn also einer einen Krieg nicht ausdrücklich „erklärt“ hat – wie Milosevic –, dann kann er erst recht machen, was er will. Das hat Atatürk nach 1915 mit den Armeniern so gemacht – anderthalb Millionen von ihnen umgebracht (übrigens mit Hilfe der Kurden) –, seine Nachfolger bis heute mit den Kurden, die Chinesen mit ihren Minderheiten, und eben unser Adolf weiland mit den Juden.
Hatte er ihnen etwa den Krieg erklärt – ich meine formell, den Regeln des Völkerrechts entsprechend? Nein. Wie hätte er das auch anstellen sollen? Die hatten ja nicht mal eine Botschaft, da in Berlin. Und die anderen – die mit ihrer Zivilisiertheit, ihren Genfer Konventionen, ihrer Haager Landkriegsordnung und was das alles ist – haben zugesehen. Es war ja nichts „erklärt“ worden. Und: „Was gehen uns die Einfachen Leute an?“ Es ging also um Krieg, dort im Kosovo. Und Krieg ist Krieg. Ein ehrlicher Frieden wäre uns allen lieber gewesen. Die hohlen Friedensparolen jedoch haben wir uns schon in den Fünfziger Jahren an den Hacken abgelaufen, wir Internationalen Parteikommunisten. „Von Klassenkampf wollen wir nicht so laut sprechen“ hat es – listig, wie wir waren – geheißen. „Wir brauchen zunächst Verbündete. So, wie es Lenin damals bei der Oktoberrevolution mit den Bauern gemacht hat.“ Und Verbündete, die kriegten wir heute (damals, um 1950) natürlich besser mit Friedensparolen.
So manchen trotteligen Pastor und manch einen Bürgerlichen, der politisch hinten nicht mehr so recht hoch kam, haben wir dafür – mir fällt kein hochdeutsches Wort ein, ich möchte fast sagen : geschanghait. Und wenn sie gerade mal draußen waren, haben wir uns über sie lustig gemacht. Die ganzen Ostermarsch – Inszenierungen waren über all die Jahre unsere Kommunistischen Familienfeiern, mit so ein paar gutgläubigen und weltfremden Hanseln auf der Rednertribüne dabei. Möglichst mit Titeln, und mit Buchstaben vor dem Namen. Graf von Westfalen, einer der Ururenkel aus der Familie von Kuddl Marx' Gattin Jenny zum Beispiel, auch Riemek, Frau Prof. Dr., die Ziehmutter von Ulrike Meinhof, und wie sie alle hießen. Zuerst auch Heinemann mit seiner GVP (Gesamtdeutsche Volks- Partei), aber der hat den Braten doch bald gerochen, sich besonnen und ist zur SPD gegangen.
Es gab wohl nicht einen Kriegsdienstgegner-Verein (IdK, VK), keine Friedensgesellschaft und wie sie alle hießen, keine Kampagne oder Initiative „Gegen den Atomtod“, in dem unsere Leute nicht ihre Finger drin und im Hintergrund unauffällig das Sagen hatten. Und für die Finanzierung sorgten. Diskret, versteht sich. Und alles mit gutem Gewissen. Es ging ja gegen den Klassenfeind, gegen den anglo-amerikanischen Imperialismus. Dabei ging es – das muß deutlich gesagt werden – nicht um den Frieden. Für uns ging es darum, die ganze Welt kommunistisch zu machen. Wir waren die Internationalen Kommunistischen Parteikader. Damals stellten die Kommunistischen Parteien in Westeuropa noch etwas dar, auch wenn Stalin die Kommunistische Internationale mit Rücksicht auf seine Westalliierten während des Krieges aufgelöst hatte. Und kommunistisch, das hieß: Erziehungsdiktatur; die Kommunistische Partei beherrscht das unmündige Volk zu seinem eigenen Besten. Unkontrollierte Herrschaft im Namen und Auftrag eines imaginären Proletariats. Da kommen wir nun mit Milosevic wieder auf einen Nenner. Und das war auch bei Mao so, bei Ulbricht, Paule Pott, Enver Hodscha und noch so manchem.
Es ging also um Krieg, jetzt im Kosovo. Und das bedeutet – wenn wir vom Brimborium mal absehen – daß rechtlich und demokratisch nicht legitimierte Herrschaft mit Gewalt durchgesetzt werden sollte. Man vertraut in dem Falle für die Zukunft auf die berühmte Normative (gesetzschaffende) Kraft des Faktischen. Also erstmal Fakten schaffen. Das hat unser Adolf ja seinerzeit auch so gemacht. Und diejenigen auf der anderen Seite, bei „uns“ also, deren Herrschaft so halbwegs demokratisch legitimiert ist – ist ja doch immer nur (und doch immerhin) halbwegs – haben ja auch alle ihren Dreck am Stecken. Sie halten sich lieber zurück, solange es irgend geht.
Nur die Militärs – die sind imgrunde überall von ähnlichem Geist. Die wollen möglichst immer gern schießen und herumballern. Dafür sind sie ja da, bzw. das ist ihr Selbstverständnis. Das haben sie gelernt, und etwas anderes können sie meistens auch nicht. Dabei meine ich nicht die einfachen Soldaten – aber ich sehe schon : da komme ich in ein paradoxes Dilemma. Die Kommißköpfe, von denen ich sage, daß sie gern schießen würden, die schießen ja gar nicht selbst. Die lassen schießen. Da ist hüben wie drüben einer den anderen wert. Kannst den einen nehmen, und dem andern damit um die Ohren hauen. Doch hier bei uns sind sie gottlob besser kontrolliert, nicht nur von der Regierung.
Nun hatten sie also im Kosovo endlich ihre große Schießerei und das Geballer. D.h., schießen taten nur die anderen, auf das (teilweise bewaffnete) Volk im Kosovo. „Wir“ ballerten bloß aus der Luft. Und das Sagen hatten dabei z.T. Leute, die unerfahren waren und zögerlich. Die wissen offenbar gar nicht so recht, was das eigentlich heißt: Krieg. Da kann man nicht lange fackeln. Wat mutt, dat mutt. Da sind strategische Fehler gemacht worden. Wenn es als richtig und notwendig erkannt ist, dann muß es mit aller Kraft so schnell wie irgend möglich zuende gebracht werden. Das ist nur mit Geballer nicht zu machen. Dazu muß – leider – auch geschossen werden, um das Morden zu stoppen. Das geht nicht aus der Luft. Dazu muß man – auch wenn es schwerfällt – einmarschieren. Es geht nicht um eine akademische Diskussion und auch nicht um ein Sandkastenspiel. Es ging um das Leben vieler unschuldiger und ohne uns schutzloser Menschen. Jetzt ist es gottlob im großen und ganzen zunächst beendet. Aber um welchen Preis! Man hätte beizeiten einmarschieren müssen. Mit schweren Waffen. Und dann noch: Wenn einer wie Milosevic einen nicht legitimierten Krieg angefangen hat – gleich ob „erklärt“ oder nicht, dann gehört er weg, getötet, wenn es anders nicht geht. Sonst hätten wir damals vor fünfzig Jahren wohlmöglich noch unseren Adolf als ersten Bundeskanzler gekriegt. Und sie sollen aufhören, im Fernsehen über Tyrannen“mord“ zu theoretisieren. Mord setzt per definitionem niedere Beweggründe und Heimtücke voraus. Die aber sind stets und eindeutig bei den Tyrannen. Milosevic weiß das alles. Er ist ja ein Kommunistischer Parteikader der alten Schule. So wie ich bis Ende 1961 es auch mal gewesen bin. Und er lebt davon, daß die anderen nicht wissen und sich nicht vorstellen können, was das heißt, und zu was er alles fähig wäre. Ein kleiner Möchtegern – Stalin eben. Und unsere Friedenskämpfer? Die kann man getrost vergessen. Gysi, zum Beispiel: Fuchtelt im Bundestag TV-Kamerawirksam mit den Armen herum und schreit, es sei ein Angriffskrieg, wenn man schießt, ohne selbst angegriffen zu sein. Ja, wenn er und seine Mackers das 1968 zu Prag auch gesagt hätten, oder zu Afghanistan und Tschetschenien, dann könnte man ihm heute vielleich glauben. Aber so ...
Oder auch Ströbele, und noch ein paar andere Juristen und so Leute, die jetzt alles mögliche unterschieben haben. Damals war nicht ein einziges kritisches Wort von ihnen über die sinnlose Schießerei und das Geballer der sog. RAF zu hören oder zu lesen. Über Isolationsfolter haben sie lamentiert, als einige der RevolverheldInnen in den Knast kamen. Über die scheußliche Folterei, die Morde und Massenvergewaltigungen im Kosovo verlieren sie kein Wort. Da geht es ja auch nur um Einfache Leute, Muslims noch dazu, nicht mal ordentliche Christenmenschen. „Verhandeln statt schießen (bomben)!“. Nicht zu überbietende Verlogenheit. Wie kann man verhandeln, solange eine Seite ungerührt weiterschießt?
Ich erinnere mich an Diskussionen von anno 71 bei uns zuhause in Hamburg-Eppendorf, wo solche Leute über die RAF unverholen, klammunheimlich Begeisterung zeigten. Ich war für sie ein Feigling, fast ein Verräter. Jetzt riefen sie: Die Waffen runter! Und meinten damit nicht Milosevics Soldateska. Die (zweifelsfrei authentischen) Bilder der Schädel aus den Massengräbern lassen sie kalt. Wenn sie – was ja ihr Hobby ist – noch eine Symbolhandlung vollbringen wollen: Wie wäre es denn mit ein paar Farbeiern auf das Harrison-Denkmal? Da dürfte in dem Fall auch ruhig etwas Dynamit mit bei sein. Das wäre lediglich Sachbeschädigung. Bronze blutet ja nicht. Harrison war nämlich der Verbrecher, der u.a. Hamburg und Dresden auf dem Kerbholz hat – von Gewissen kann man bei so einem ja nicht reden.
Bombenterror gezielt gegen die Zivilbevölkerung als Strategie. Das gibt es heute gottlob in Armeen von demokratischen Staaten nicht mehr. Allenfalls „Kollateralopfer“. Das klingt zwar zunächst zynisch, und es sind sicher eigentlich unverzeihliche Fehler vorgekommen, es ist aber doch ein wesentlicher Unterschied zu den –zigtausend Bombenopfern von damals, die den Krieg nicht verkürzt haben. Dem Harrison habe die Tommys voriges Jahr noch feierlich ein Denkmal gesetzt. Zumindest das gehört geschändet und zerstört! Da könnten sie sich mal nützlich machen, unsere Friedensheinis. Was machen wir denn nun mit ihnen? Die winden sich ja stets heraus, werden nie belangt, ihnen geschieht nie nicht irgendwas. Sie gehören eben nicht zu den Einfachen Leuten oben aus der Überschrift.
Wie wäre es mit einer großen pompösen Ehrung? Da stünden sie dann mit ihrem feisten Grinsen oben auf dem Podest, Gysi, Handke, Ströbele & Co und noch so ein paar Hanseln. Und dann werden sie feierlich ausgezeichnet mit dem Preis, der – nicht schlecht dotiert – in den Fünfziger Jahren schon einmal bei ihren Altvorderen in hohem Ansehen stand, und den sie sich jetzt redlich verdient haben: den
STALIN-FRIEDENSPREIS.
Berni Kelb, Jahrgang 1934, wuchs in einer Kommunistischen Arbeiterfamilie in Hamburg auf. Heute lebt er als Rentner in Bremen-Findorff und schreibt ab und zu als Freier Mitarbeiter für die taz-Bremen. Meistens auf Plattdeutsch unter dem Namen Bani Barfoot. Dieser Beitrag ist im Original auch plattdeutsch geschrieben. Auf Wunsch kann man es von der taz-Bremen zu den üblichen Bedingungen bekommen.
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