Kommentar: Ab in die Wüste
■ Warum Eberhard Diepgen auf das Kamel kam
Wirtschaftspolitik braucht einen langen Atem und – vor allem in Berlin – viel Phantasie. Eberhard Diepgen hat beides. Und Erfolg noch obendrein. Gestern nämlich traf sich der Regierende mit seinem alten Freund Scheich Sultan Bin Khalifa Bin Zayed Al Nayhan aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Um Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ging es bei der Unterredung im Roten Rathaus und um ein geplantes Kooperationsabkommen zwischen der Messe Berlin und der Industrie- und Handelskammer von Abu Dhabi. Berlin, betonte Diepgen, stehe für Investitionen aus der Golfregion jederzeit offen.
Zwar steht Berlin noch lange nicht der Umzug der Wüstenrot-Zentrale an die Spree bevor, doch die Beharrlichkeit, mit der Diepgen an seinen Freund, den Scheich, glaubt, scheint sich auszuzahlen. Das war nicht immer so. Als Diepgen vor zwei Jahren Scheich Sultan Bin Khalifa Bin Zayed Al Nayhan nach Hoppegarten einlud, um das erste Kamelrennen auf deutschem Boden zu zelebrieren, schütteten die intellektuellen Bedenkenträger ihre Häme gleich kübelweise aus. Selbst in dieser Zeitung ließ sich ein zeitkritischer Betrachter zu der Bemerkung hinreißen, daß sich die „vorab kolportierte Bockigkeit in wiederkäuendem Ablegen und enttäuschender Geruchlosigkeit erschöpfte“.
Weit gefehlt, Skeptiker! Schon damals nämlich nutzte der weitsichtige Landeschef den Einlauf der „Wüstenschiffe“ (Diepgen), auf daß sich die „wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und der arabischen Welt vertiefen“. Seitdem regiert in der Arbeitsplatzwüste Berlin tatsächlich etwas wie das Prinzip Scheich. Selbst in den maroden, chronisch defizitären Krankenhäusern setzt man nicht mehr auf Kassenpatienten, sondern auf die orientalischen Potentaten. Und kam nicht gerade erst wieder eine berühmte Zigarettenmarke als Werbepartner für das andere Berliner Kamelrennen, die Love Parade, an die Spree zurück?
Bei aller Phantasie sollte aber nicht unerwähnt bleiben, daß Wirtschaftspolitik keine Einbahnstraße ist. Nicht nur die Berliner wollen schließlich Kamelrennen. Also, Diepgen: Love Parade an die Emirate verkaufen und Planetcom in die Wüste schicken! Uwe Rada
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