: „Wer hofft, ist ein Verbrecher“
■ Protestierende Studenten schreiben seine Verse an die Wände: Der chinesische Lyriker Bei Dao liebt die Einsamkeit
In der Zeit, wenn darüber spekuliert wird, wer den nächsten Literaturnobelpreis bekommt, geht Bei Dao nie ans Telefon – schließlich ist er der einzige Chinese, der immer wieder auf der Kandidatenliste auftaucht. Denn der bekannteste chinesische Poet ist nicht besonders extrovertiert. Seinem Künstlernamen Bei Dao (nördliche Insel) macht er alle Ehre: Am liebsten schweigt er, eine Ansammlung von mehr als drei Menschen ist ihm ein Greuel.
Trotzdem ist es dem „Haus der Kulturen der Welt“ gelungen, den Dichter zu einer Lesung im Rahmen der Reihe „Kulturen im Dialog: Tradition und Moderne“ zu bewegen. Obwohl sich die Veranstalter der Love Parade bemühten, das Haus der Kulturen weiträumig abzuriegeln, war am Freitag der kleine Kongreßsaal voll besetzt. Konzentriert und mäuschenstill verfolgten gut fünfzig Zuhörer Bei Daos Gedichte: „Der Welt bin ich / Auf immer ein Fremder /Ich verstehe ihre Sprache nicht / Sie versteht mein Schweigen nicht /Alles, was wir auszutauschen haben / Ist Geringschätzung.“
Die deutsche Übersetzung las der Schauspieler Peter Kock; der Bonner Professor Wolfgang Kubin, der Bei Daos Werke ins Deutsche überträgt, erläuterte die Verse. Das Publikum: außer chinesischen Literaturliebhabern vor allem deutsche Sinologen. Für seinen Berlin-Aufenthalt als DAAD-Stipendiat im Jahr 1989 sei er dankbar, erklärte ihnen Bei Dao. So lerne er die Einsamkeit kennen: „In China ist es nicht möglich, aus dem Netz der Beziehungen auszubrechen.“ Berlin war für den 1949 in Peking geborenen Dichter aber nicht nur ein Ort der Selbsterkenntnis, sondern auch die erste Station seines Exils: Die chinesische Regierung bürgerte den Poeten nach dem Tiananmen-Massaker als einen der Verantwortlichen für die Studentenproteste aus und verweigert ihm die Rückreise. Nach Berlin zog er in andere europäische Städte; seit 1993 lebt er als Dozent für moderne chinesische Literatur in den USA.
In den achtziger Jahren gehörte Bei Dao als Herausgeber der freien und nach neun Ausgaben verbotenen Literaturzeitschrift Jintian (Heute) zu den profiliertesten Vertretern der chinesischen Demokratiebewegung. 1989 startete er eine Unterschriftenkampagne für den Dissidenten Wei Jingsheng. Protestierende Studenten schrieben seine Verse an die Wände: „Redlichkeit ist ein Spruch auf dem Grabstein“ oder „Wer hofft, ist ein Verbrecher“ – weil er Ärger mit dem Regime bekommt.
Für die offizielle chinesische Kritik ist Bei Dao ein „subjektver Nihilist“, ein „Kleinbürger“, als Übersetzer westlicher Literatur und Herausgeber einer Esperanto-Zeitschrift ein Landesverräter, ein unverständlicher „Dunst-Dichter“ – dabei sind seine politischen Anspielungen oft sehr deutlich. Seine Erzählung „In den Ruinen“ gab einer ganzen Literaturströmung, die mit der Kulturrevolution abrechnet, den Namen. Trotz der traurigen Themen seiner Gedichte – Schmerz, Alter, Tod, Wehklagen – gab Bei Dao nach der Lesung gut gelaunt Autogramme. Vielleicht freute er sich schon auf die nächsten zwei Monate? Da wird er nämlich „keine Lesungen machen, sondern in aller Ruhe arbeiten“ – als Stipendiat auf Schloß Solitude bei Stuttgart. Martin Ebner ‚/B‘ Von Bei Dao ist auf deutsch der Band „Notizen vom Sonnenstaat“ erhältlich (Hanser, 26 DM). Weitere Werke – z. T. unter dem bürgerlichem Namen Zhao Zhenkai oder weiteren Pseudonymen – in Anthologien des Suhrkamp Verlags.
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