: Die Liebe ist ein Braten und kein Kochrezept
■ Tischgebete für Kannibalen: Rosa von Praunheims „Hamlet – eine Sexkomodie“
Nie kann ich Kabarett sehen, ohne die christliche Botschaft herauszuhören. Das kommt davon, daß meine Eltern mich zu einem Pfarrer in den Konfirmandenunterricht schickten, der uns die Konfirmation als „Kabarett“ gestalten ließ mit Anklagen gegen die Überflußgesellschaft hier und den Hunger dort. So was prägt fürs Leben.
Rosa von Praunheim muß wohl ähnlich schlimme Erlebnisse in seiner Jugend gehabt haben und arbeitet nun sein Leben lang dagegen an. Warum sonst sollte sein „Hamlet“ mit einem Abendmahl der etwas anderen Art enden: Verspeist wird der arme Sohn, von der Mutter knusprig gebraten, von den sexuell enttäuschten Frauen seines Lebens. Der Sohn heißt Hamlet, und Shakespeare ist einer der Namen des Gottes, an dessen Sockel so heftig gerüttelt wird.
Diese Parodie zielt nicht nur auf die Hoffnung auf Erlösung, den Glauben an das Opfer und andere Mythen, die in der Geschichte der Repression der körperlichen Lust eine große Rolle spielten. Dagegen hat sich Rosa von Praunheim als Regisseur und Autor schon lange eingesetzt. Nur daß ihm dabei wohl irgendwann dämmerte, daß all die Aufklärer, Therapeuten, Dominas und Workshopleiter, die sich seitdem der Befreiung des Unterdrückten verschrieben haben, inzwischen ihren eigenen Klerus bilden. Und als wäre all das noch nicht schlimm genug, entdeckt er auch in der Kunst die Lust am Leiden und selbst im alternativen Workshop das Warten auf die echte Berührung, das Niederfahren des Heiligen Geistes. Mit dem herben Charme einer Laienspielschar agiert das Ensemble aus sieben Frauen und einem Mann, das Praunheim für „Hamlet – eine Sexkomödie“ zusammengebracht hat. Sie spielen Workshop, gynäkologische Praxis, Sextherapie und Besuch bei der Domina. Sie stauben Dildos ab, singen und reißen die Beine hoch, führen heißen Kaffee und Nägel als sexuelle Stimulanzien vor und reden ausgiebig darüber, was und was nicht in den Körper hineingehört. Eigentlich offenbart dieses Stochern in den intimen Öffnungen ziemlich traurige Geschichten von Einsamkeit, die ihre begrenzte Komik allein aus dem Umstand beziehen, das Unglück fast ausschließlich auf der Ebene der Sexualpraktiken zu behandeln. Als wäre die Liebe wie ein Kochrezept zu handhaben. Doch weil keine einzige der Frauen mit Hamlet noch untereinander auf ihre Kosten kommt, weil auch Religion und Kunst als Alternativen zum Sex versagen, bleibt am Ende nur der Braten.
Ob all das zusammen eine Komödie ausmacht, ist nicht so sicher; sicher aber, daß dies geschwätzige Opus mit geringen Mitteln gegen eine ganze Unterhaltungsindustrie antritt, die den Witz auch immer an der falschen Stelle sucht. Ähnlich wie in „Hotel Fuck“ von Richard Foreman, das als Gastspiel aus New York zum Theater der Welt kam, entschwindet der Körper mehr und mehr hinter seiner Rede über ihn.
Katrin Bettina Müller ‚/B‘ „Hamlet – eine Sexkomödie“, Ratibor-Theater, Cuvrystr. 20, 10997 Berlin-Kreuzberg, 15. – 18. Juli und 22. – 25. Juli, jeweils 21 Uhr.
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