Im Dienst Ihrer Majestät

Sie kommen aus den Bergen des Himalaja und sind die letzten Söldner bei der britischen Armee: die Gurkhas. 3.400 tun heute noch Dienst. 650 Mann der Eliteeinheit gehörten zu den ersten, die im Juni in das Kosovo einmarschierten. Und sie zählten zu den ersten, die Tote zu beklagen hatten.  ■ Aus Katmandu Severin Weiland

Bis zum 20. Juni wußte Asanta Rai wenig vom Kosovo. Sie wußte nicht, wo Pristina liegt. Sie wußte nur, daß ihr Mann zu den ersten gehörte, die über die makedonische Grenze in die südliche Provinz Jugoslawiens einmarschierten. An diesem 20. Juni 1999 sollte sich das Leben von Asanta Rai schlagartig ändern: Sie wurde Witwe. Ihr Mann, Unteroffizier Balraim Rai, kam an diesem Tag ums Leben, zusammen mit einem britischen Leutnant. Beide wurden durch herumliegende Nato-Bomben in einer Dorfschule westlich von Pristina getötet.

Die Soldaten waren Angehörige der Gurkhas, jener Eliteeinheit aus nepalischen Söldnern, die unter dem Kommando britischer Offiziere für die Krone kämpft. Der Tod ihres Mannes brachte Asanta Rai, Mutter zweier Kinder, für wenige Tage in die britische Presse. Dem Mirror war das eine Titelseite wert: „Was für ein Preis, für Britannien zu sterben – 770 Pfund im Jahr“. Asanta Rai, empörte sich das Massenblatt, würde für den Tod ihres Mannes einen Abschlag von 19.000 Pfund erhalten, weitere fünf Jahre jährlich 939 Pfund und schließlich eine Witwenrente von jährlich 771 Pfund. Die Witwe eines britischen Unteroffiziers hätte 54.548 Pfund Abschlag erhalten, anschließend das Gehalt des Getöteten für weitere sechs Monate und danach 15.192 Pfund jährlich. Der Tod Balram Rais mobilisierte das schlechte Gewissen der britischen Öffentlichkeit. Tony Blairs Sprecher verkündete, man werde die Pensionszahlungen an die Gurkhas einer Prüfung unterziehen.

Weltweit waren Anfang Juni die Bilder über den Einmarsch von 650 Gurkhas in das Kosovo gezeigt worden. Wieder einmal, wie so oft in der Geschichte der früheren Kolonialmacht, schickte Großbritannien seine Eliteeinheit vor. In Katmandu überraschte das niemanden. „Wir sind die ersten in der vordersten Linie, aber die letzten bei der Bezahlung“, sagt Jam Bahadur Gurung. Der 49jährige ist Generalsekretär der Gurkha Army Ex-Servicemen Organisation (GAESO), einer Veteranenorganisation in Katmandu. 24 Jahre hat er den Briten gedient: in Hongkong, Malaysia, Großbritannien, zuletzt in einem Feldhospital in Saudi-Arabien während des Golfkrieges 1990.

Daß Gurung ein halber Brite ist, wie er selbst lächelnd sagt, ist unverkennbar. Mitten in einer Siedlung Katmandus von halb gebauten, halb zerfallenden Gebäuden wirkt sein Büro, als gehörte es nicht in die Umgebung aus herumliegendem Müll und streunenden Hunden. Mit derselben Hartnäckigkeit, wie sie auf Ordnung und Sauberkeit achtet, streitet die Organisation seit Jahren für gleichberechtigte Pensionen.

In der Tat nimmt sich die Pension eines Gurkha-Veteranen im Vergleich zu seinen britischen Waffenbrüdern bescheiden aus: Einfache Dienstgrade erhielten bis 1998 rund 24 Britische Pfund monatlich (70 Mark), höhere bis zu 141 Pfund im Monat (420 Mark). Der Druck der Verbände verschaffte ihnen immerhin einen Teilerfolg: Bevor Prinz Charles im vergangenen Jahr Nepal besuchte, erhöhte London die Pensionen der Gurkha-Veteranen um fünfzig Prozent.

Selbst mit den für Großbritannien bescheidenen Pensionen – britische Kameraden erhalten das Zwanzigfache – sind die Gurkhas noch immer Könige unter den Armen: Ein Hochschulprofessor in Nepal verdient 170 Mark monatlich. Daß die Gurkhas in ihrem eigenen Land, dem siebtärmsten der Welt, Privilegierte sind, weist der frühere Leutnant Gurung zurück: „Wir haben das Beste, unsere Gesundheit, unser Leben, für die Krone gegeben.“ Das britische Verteidigungsministerium verteidigt die Ungleichbehandlung bis heute mit den niedrigeren Lebenshaltungskosten in Nepal.

Rechtlich glaubt sich London sicher und verweist auf den britisch-indisch-nepalesischen Vertrag von 1947. Darin versprach Großbritannien dem gerade unabhängig gewordenen Hindustaat Mahatma Gandhis, daß die Einkommen ihrer Gurkhas nicht die der ebenfalls in der indischen Armee tätigen nepalesischen Gurkhas übersteigen dürften. Doch dieser Passus wurde nie eingehalten. Durch Zuschläge erhöhte London die Attraktivität eines Dienstes in den eigenen Gurkha-Einheiten beständig. Die 40.000 Gurkhas, die heute in Indien Dienst tun, wurden so zu Gurkha-Söldnern zweiter Klasse. 1997 ging die konservative britische Regierung noch weiter. Die Nepalesen in der Gurkha-Truppe wurden mit ihren britischen Kollegen gleichgestellt. Mit einem Jahresgehalt von 13.000 Pfund (42.000 Mark) gehört ein unverheirateter Gefreiter heute zu den Spitzenverdienern in Nepal.

Fünfzehn Jahre dauert der Dienst eines Nepali in der Elitetruppe. Wer es geschafft hat, verteilt den Sold auf die Familie. Und die kann groß sein. Die Elitesoldaten und ihre Angehörigen, sagt der Gurkha-Spezialist der Kathmandu Post, Akhilesh Upadhyay, „sind Teil der Mittelschicht“. 26.000 Veteranen, so das britische Verteidigungsministerium, leben heute in Nepal. Manche haben sich in Katmandu Häuser gebaut, andere sind in ihre Dörfer zurückgekehrt. Dörfer, die in unwegsamen Gebirgsketten liegen, in denen häufig ein von Wasserbüffeln gezogener Pflug das fortschrittlichste Produktionsmittel ist. Dort sind die Veteranen hochwillkommen, gelten sie doch als tüchtig und gebildet. Entwicklungshelfer sind voll des Lobes über die Veteranen, weil sie meist die einzigen sind, die eine Dorfgemeinschaft zu organisieren wissen.

Allein in diesem Jahr bewarben sich 36.000 Nepalis auf 230 freie Posten. Die Auswahl wird ebenso hart gewesen sein wie die, die der GAESO-Generalsekretär Gurung 1969 bei seinem Eintritt erlebte: „Ich mußte einen vierzehn Kilo schweren Bastkorb einen Berg hoch- und runterschleppen, anschließend 25 Liegestütze in der Minute absolvieren.“ Wer diese Schikanen überlebt, wird genommen.

Die Härte der Gurkhas, die im eigentlichen Wortsinn eigentlich unkriegerisch „Hüter der Kühe“ heißen, ist Legion. Die Briten wußten den Geist dieser Männer schon im vergangenen Jahrhundert zu schätzen. Als sie die Gurkhas, einem im Katmandu-Tal beheimateten Clan, 1816 nach zweijährigem Krieg niederrangen, waren sie von deren Mut so beeindruckt, daß sie sich vertraglich das Recht von der britischen Krone sicherten, die Männer aus den Bergdörfern des Himalaja anzuwerben.

Es gab kaum einen Erdteil, auf dem die Gurkhas seitdem nicht gekämpf haben. 200.000 waren es in beiden Weltkriegen in der britischen Uniform. Nach 1945 waren sie in vielen Krisenherden der Welt, ob 1973 in Zypern, als UN-Ehrensoldaten an der Demarkationslinie in Korea, 1995 in Bosnien oder eben jetzt im Kosovo. Rund 15.000 ließen ihr Leben für Großbritanniens Fahne. Noch in den fünfziger Jahren zählte die Truppe 16.000 Mann. Obwohl billiger als britische Einheiten, ging auch an ihr der Rotstift nicht vorbei. Heute sind es noch 3.400, die bei den Royal Gurkha Rifles im Sold stehen. Seit Hongkong im Juni 1997 an China fiel –dort waren die Gurkhas Schutztruppe –, ist ihr Hauptstützpunkt ein kleines Dorf südlich von London, Church Croockham.

Der Aufenthalt im Ausland hat die Gurkhas weltläufig gemacht – und Probleme geschaffen. Viele Offiziere haben ihre Kinder im Ausland erziehen lassen. Die Rückkehr in ein Land, das noch tief den Stammesritualen und religiösen Traditionen verhaftet ist, schafft Probleme, wie sich eine Nepalesin erinnert. Als sie Anfang der Siebziger mit ihrem Vater aus Hongkong ins Bergland zurückkam, war ihr die rigide Hindukultur fremd. Der erste Kulturschock ereilte sie und ihre Schwester, als sie kurze Röcke trugen und damit einen unerhörten Tabubruch begingen. Ihre Schwester lebte sich nie wieder ein. Kaum erwachsen, ging sie nach Großbritannien.

Noch heute gelten die Gurkhas im Westen als eiskalte Krieger, die keine Gefangenen machen. Vieleicht mag ihr mongolisches Aussehen zu den Legenden und Vorurteilen beigetragen haben. Dabei genießen sie international einen weitaus respektableren Ruf als etwa Frankreichs Fremdenlegionäre. Furchteinflößend mag auf viele Außenstehende allein schon der Kukri wirken, ein Krummdolch, der ihr Kampfessymbol ist. Die Gurkhas sind in der Tat im Nahkampf gedrillt, doch ihr blutrünstiger Ruf ist heutzutage eher Legende. Ram Kumar Rai (37) etwa war 1982 dabei, als die Gurkhas mit anderen britischen Truppen die Falklandinseln von den Argentiniern zurückeroberten. „Wir flogen auf die Argentinier zu mit unserem Hubschrauber, und als sie uns sahen, hoben sie schon die Hände.“ Rai ist typisch für den Zwiespalt, den viele Gurkha-Veteranen in sich tragen: Sie sind stolz, fünfzehn Jahre fern der Heimat überlebt zu haben, aber auch wütend über die ungerechte Pension. Minderwertigkeitsgefühle vermischen sich mit Elementen eines asiatischen Rassismus: „Die Briten hätten auf den Falklands nicht eine Woche ohne ihren Nachschub aushalten können. Wir Gurkhas können auch von dem leben, was wir auf dem Boden finden.“

Rai würde gerne nach Hongkong zurückkehren, wo er nach seinem Dienstende 1994 noch zwei Jahre bei einer privaten Sicherheitstruppe arbeitete. Doch dort gelten strikte Einreisebestimmungen, seit die Asienkrise auch die einstige Kronkolonie erfaßt hat. „Vielleicht gehe ich in die arabischen Länder“, hofft er. Das kann dauern. Bis dahin wird er wohl wieder an den Demonstrationen für höhere Pensionen vor der britischen Botschaft teilnehmen. Und weil die Gurkhas einmal Soldaten waren, haben sie die Transparente früherer Demonstrationen ordnungsgemäß in einem Raum aufbewahrt. Nur als Prinz Charles zu Besuch war, verzichteten sie auf eine Kundgebung. „Wir wollen Gerechtigkeit“, sagt Gurung, „aber wir waren loyale Diener.“ Den Besuch eines Kronprinzen, sagt er mit ernstem Gesicht, „stört man einfach nicht“.

Severin Weiland, 35, ist Inlandsredakteur der taz. Vor kurzem hat er sich für ein Jahr freistellen lassen und lebt mit seiner Partnerin, einer Entwicklungshelferin, in Nepals Hauptstadt Katmandu