■ Kommentar: Kein Beinbruch Warum das Beutekunst-Urteil aus Moskau akzeptabel ist
Oberflächlich betrachtet liest es sich fatal, das Urteil des russischen Verfassungsgerichts zum umstrittenen Beutekunst-Gesetz. Denn es bestätigt, daß die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland verschleppten Kulturgüter verfassungskonform erworben worden seien. Entsprechend sind die Reaktionen hierzulande. Von einer „Enttäuschung“ spricht der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann. Am weitesten aus dem Fenster lehnt sich die Bundestagsfraktion der FDP, die das Rechtswerk als „Enteignungsgesetz“ kritisiert und Moskau mit Kreditentzug droht.
Man muß schon genau hinschauen, um die Bedeutung des Urteils einzuschätzen. „Ein gegenseitiger Austausch gleichwertiger Kulturgüter“, so heißt es im Kommentar zum Urteilsspruch, „ist möglich, ebenso wie die Rückgabe einzelner Kulturgüter durch Rußland als freundschaftlicher Akt oder als Zeichen guten Willens.“ Deutlicher läßt sich das Ziel der Russen eigentlich nicht beschreiben. Ihnen geht es, selbst wenn die Erkenntnis auf den ersten Blick schwerfällt, um ein gleichberechtigtes Miteinander in der Politik. Sie wollen gefragt werden, dabeisein im Kreis der Mächtigen und im Zweifelsfall selber entscheiden, wann und was sie von dem zurückgeben, das ursprünglich als (unzureichende) Kompensation für die eigenen katastrophalen kulturellen Verluste ins Land gebracht wurde. Die einstige Weltmacht möchte ihr Gesicht wahren, nicht Weisungen befolgen, auch wenn das dem Völkerrecht widerspricht.
Kurzum: Unter streng juristischen Aspekten wird man diesem Urteil nicht gerecht. Seine Interpretation ist eine Frage der Psychologie. Dabei ist das Bemühen, den Betroffenen nicht die Tür vor der Nase zuzuschlagen, nicht zu übersehen. So sollen Staaten, die nicht mit Deutschland verbündet waren, ihren Besitz durchaus zurückerhalten können. Gleiches gilt für Privatpersonen, die Opfer der Nazis wurden. Gekippt wurden auch die Fristen, innerhalb derer Anträge auf Rückerstattung gestellt werden müssen. Das alles zeigt, daß der russischen Seite daran gelegen ist, wegzukommen vom verbalen Säbelrasseln sowohl im eigenen Land als auch andernorts. Statt dessen will sie versöhnliche Töne in die Debatte bringen. Das sollte der Westen akzeptieren. Das russische Urteil ist eine Chance. Und kein Beinbruch. Ulrich Clewing
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