: Nice to see you, my friend
Prälat Johannes Bieler und der Sozialarbeiter Franz Wellerding haben Freunde aus aller Welt: Sie besuchen Häfen und räumen den Seelenmüll weg. ■ Eine Reportage von Lukas Heiny (Text) und Laura Marina (Fotos)
Ehre sei Gott auf dem Meere / Er hat das Meer so weit bestellt / als schönsten Teil der großen Welt / Tat damit seine Weisheit kund / damit nicht jeder Lumpenhund / mit denen die Erde so reichlich gesegnet / dem ehrlichen Seemann da draußen begegnet / Ehre sei Gott auf dem Meere
„No problem. Everything all right“, beteuert der Mann mit dem ölverschmierten Hemd und dem ungepflegten Vollbart. Erst sehr zögerlich räumt er ein, daß es doch Probleme gibt, daß die Lebensmittelversorgung doch nicht die beste ist. Der Mann bestätigt, was mir vorher schon angedeutet wurde.
Wir befinden uns auf der „Florence Star“. Das mittelgroße Überseefrachtschiff liegt im Industriehafen. Vor einem dreiviertel Jahr hat es an Bord gebrannt. Das Schiff befand sich gerade vor Nordenham. Das Wrack wurde von dort in den Bremer Hafen geschleppt und an den Dalben gelegt. Seitdem liegt es ohne Funktion auf dem Wasser. Die Besatzung – bestehend aus 14 Männern – lungert seitdem arbeitslos an Bord rum. Als wir das Schiff betreten, hallt Hämmern aus dem Bauch des Dampfers zu uns herauf. Zwischen umherliegenden Tauen und rostigen Ketten schweißt ein Matrose an einer schrottreifen Ladeluke. Die „Florence Star“ soll auf Vordermann gebracht werden, aber, so unkt man, sie wird wahrscheinlich verschrottet. Eine sinnlose, deprimierende Arbeit.
Mein Begleiter ist Franz Wellerding, ein wohlbeleibter Mittvierziger, Sozialarbeiter bei der katholischen Seemanns-Mission „Stella Maris“. Ein Mann in grauem Karohemd, der sich hektisch durch die engen Gänge des Schiffsinneren bewegt. Er hatte von neuen Spannungen unter der Besatzung auf dem Ozeanwrack gehört. Doch die burmesischen Matrosen zeigen sich verschlossen. Wir werden zum Kapitän geführt, ein kleiner Mann mit einem kleinen Kugelbauch. Er hat gerade geduscht und ist nur mit einem Handtuch bekleidet, das er sich um den Bauch geknotet hat. „Everything o.k.“, betont auch er nachdrücklich.
Nur der einzige Inder an Bord gibt nach mehrmaligem Nachfragen unter vorgehaltener Hand Auskunft. Zur Qualität des Essens will er gar nichts sagen, verdreht nur die Augen. Dreihundert Dollar bekommt er im Monat, seine Kollegen Sechshundert. Pikanterweise prangt in der Mannschaftsmesse ein Aufkleber mit einem Dollarschein und dem Spruch: „This could be your BONUS.“ Auf die Frage, ob seine Lage besser sein könnte, dreht er sich weg, schaut zu Boden und flüstert: „It couldn't be worse.“ Es könnte gar nicht schlechter sein.
Genau in solchen Situationen tritt Franz Wellerding von der Seemanns-Mission in Aktion, mein Begleiter. Ganz jovial geht er auf die Seeleute zu. Handshake, Schulterklopfen, Lachen. Jedes Mal nimmt er Körperkontakt auf. Wellerding gibt den Männern seine Telefonnummer, bietet ihnen an, in seine Mission zu kommen oder eine Stadtrundfahrt zu machen, versucht Verbindungen mit Reedereien und Gewerkschaft aufzunehmen. Der Maschinist der „Florence Star“ trägt noch immer die Mütze, die er von Wellerding zu Weihnachten bekam. Er erinnert sich daran aber nicht mehr, nickt immerzu und lächelt den Mann an meiner Seite mit zahnlosem Mund verschämt an.
Wir sitzen wieder im Citroän, mit dem wir den ganzen Nachmittag durch den Hafen fahren. Jedesmal, wenn wir einsteigen, bürstet sich mein Begleiter sein vom Wind zerzaustes Haar zurecht. Wellerding erzählt von seiner Arbeit. Seit elf Jahren besucht er die Schiffe, die in Bremen festmachen. Nur selten gebe es solche Problemschiffe wie die „Florence Star“. Meistens müsse er banale Alltagssorgen der Matrosen beheben. Schlafplätze organisieren, arbeitsrechtliche Fragen klären, Telefonkarten besorgen und gesellige Abende organisieren. Die Matrosen arbeiten rund zehn Monate auf einem Schiff, sind froh, andere Gesichter zu sehen und endlich mal die eigenen Probleme loszuwerden. Wellerding spricht schnell, engagiert, versucht, die Begeisterung für seinen Beruf auf mich zu übertragen. „Zuerst wird die Ladung vom Schiff gebracht. Dann der Schiffsmüll und dann der Seelenmüll.“ Für letzteren ist er zuständig.
Wir fahren in die Clubräume von „Stella Maris“. Seit 1990 liegen sie genau gegenüber des Überseehafens in Gröpelingen. Aus den Fenstern sah Wellerding letztes Jahr, wie das Hafenbecken langsam mit Sand vollgespült wurde. Nun blickt er auf eine Düne, die spärlich mit Roggen bepflanzt ist. „Bei Wind hat man hier nun ein Sandstrahlgebläse.“ Die großen Räume des Clubs sind modern aber steril eingerichtet. Auf dem Tisch steht eine kleine Osterkerze, beschriftet mit Alpha et Omega – Anfang und Ende. Jeder Zuckerpott hat einen eigenen Untersetzer. In den Vitrinen stehen fein säuberlich Andenkenartikel ferner Länder. Ein riesiger Billardtisch, Kicker und ein Elektro-Dart. In den Regalen eine internationale Bibliothek mit den Werken von Camus und Lenz, Groschenromanen und: die Bibel. Unter dem gewaltigen Philips-Fernseher stehen Videos mit dem Titel „Jesus“ auf deutsch, englisch und russisch. Alle noch eingeschweißt.
Am Eßtisch sitzt der Chef der Mission, Prälat Johannes Bieler. Ein korpulenter Mann, der für seine über sechzig Lebensjahre noch ausgesprochen dunkles Haar hat. Es ist Mittagszeit und er löffelt gerade seine Fünf-Minuten-Terrine. Nach acht Jahren auf See als Marinepfarrer versorgt er nun seit 22 Jahren die Seemänner in Bremen in allen materiellen und vor allem seelischen Notlagen. Er ist mehr Sozialarbeiter als Geistlicher, obwohl er regelmäßig am Wochenende an Bord der Schiffe Gottesdienste hält. Er erzählt bedächtig, teilweise zynisch amüsiert, sein Blick schweift über die außer Betrieb stehenden Hafenanlagen. Früher wimmelte es hier von geschäftigen Leuten. Aber seit der Einführung der Container in die Seeschiffahrt sind ganze Berufsgruppen wie Schiffszimmermann und Funker weggefallen. Die Matrosen sind nur noch wenige Stunden im Hafen, weil die Waren viel schneller verladen werden. Intensiver Kontakt zu „Stella Maris“ ist nicht mehr möglich. Auch die Lage der einzelnen Seeleute ist schlimmer geworden. Es gibt für die Seemannsmission mehr Arbeit durch mehr Probleme. Die Bezahlung der Seeleute ist miserabel; das wirkt sich auch auf das gesamte Umfeld aus. „Das ist eben die marktwirtschaftliche Entwicklung“, seuftzt Bieler und fügt wie unbeteiligt hinzu: „Aber man kann nicht mit seiner Hand in eine laufende Kreissäge packen. Seefahrerromantik mit braungebrannten Matrosen, die in jedem Hafen ein Mädchen haben, gab es nur bei Hans Albers.“
Früher hat er portugiesisch, spanisch, englisch und deutsch reden müssen, um sich zu verständigen. Heute reichen ihm englisch und die paar Fetzen polnisch, die er noch aus seiner Heimat Danzig kennt. Denn die Seeleute kommen heute aus Ostasien und der ehemaligen UdSSR und nicht mehr aus Westeuropa und Südamerika. Zu seinem Dienstbeginn gab es noch 35.000 deutsche Seeleute, nun noch knapp 4.000.
Bei Prälat Bieler und seinem Helfer Wellerding herrscht eine familiäre Stimmung. Wie ein altes Ehepaar streiten sie sich, wer das größere Stück Kuchen zum Kaffee bekommt. Wellerding zieht den kürzeren und muß obendrein noch die Spülmaschine ausräumen. Jeder Seemann findet bei ihnen ein offenes Ohr, ohne Rücksicht auf Nationalität und Religion. Durch ein Netzwerk von Verbindungen zu Politik und Krankenhäusern und nicht zuletzt dank der engen Zusammenarbeit mit der evangelischen Seemannsmission kann in fast allen Lagen geholfen werden. Fast jedes Schiff, das in den letzten beiden Jahrzehnten in Bremen festmachte, haben sie oder die Kollegen besucht.
„Stella Maris“ erarbeitete sich in der 90jährigen Geschichte einen guten Ruf. Oft bearbeiten Bieler und Wellerding die Post, die sich die Matrosen zu ihnen schicken lassen und dann dort abholen. Stolz bekam er von einem dankbaren Seemann einst ein Geschenk überreicht: ein Hologramm eines ans Kreuz genagelten Messias, der je nach Blickwinkel die Augen auf oder zu hat. Es liegt aber nur im Schrank. „Kitsch as Kitsch can“, bemerkt der Prälat trocken und wendet sich lächelnd ab. Kontakte zu den Matrosen bestehen teilweise über Jahre hinweg. Bieler war schon auf den Philippinen, um Seeleute zu besuchen, die er im Bremer Hafen kennengelernt hat.
Wellerding und ich verlassen das Büro wieder. Wieder geht es über die holprigen Kaianlagen zu einem Schiff. Die „Maersk Taian“ hat eben erst im Klöcknerhafen festgemacht. Den Koch des Riesendampfers kennt mein Begleiter schon lange. Der zahnlose Mund des Koches verzieht sich zu einem Lachen, als er uns sieht.
In asiatischem Akzent ruft er: „My friend, nice to see you.“ Das letzte Mal war er vor ein paar Wochen im Hafen. Nun hat das über 200 Meter lange Schiff Eisenerz aus Norwegen für die Stahlwerke Bremen gebracht. Unter dem Gedröhn der riesigen Schaufelbagger, das den Stahlrumpf des ganzen Frachters erschüttert, fragt Wellerding nach der Familie. Seit neun Monaten hat der philippinische Koch seine fünf Kinder nicht mehr gesehen. Wellerding bietet Telefonkarten an, damit der Koch zu Hause anrufen kann. Nur in den Häfen ist es möglich, mit der Familie zu sprechen. Mit der Hilfe von „Stella Maris“ wird das wesentlich erleichtert. „Regelmäßiger Kontakt nach Hause ist das wichtigste. Sonst“, sagt Wellerding, „sonst ist einem seine eigene Frau bald so egal wie Frau Müller.“
Auch auf der „Maersk Taian“ gibt es einen tragischen Fall. Ein Ingenieur mit lichtem grauem Haar und ölverschmiertem Overall erzählt Wellerding stockend, seit eineinhalb Jahren auf diesem Schiff zu sein. Es gab Probleme bei der Mannschaftsübergabe. Ein Ersatzmann wurde nicht gefunden. Nun hat er seine Frau und seine Kinder die ganze Zeit nicht mehr gesehen. Nur eineinhalb Jahre alte Fotos sind ihm geblieben. Das Leben seiner Kinder bekommt er nur in Etappen mit.
Ansonsten ist das Schiff gut in Schuß. Zwei Crewmitglieder essen im Neonlicht der Mannschaftsmesse Cornflakes mit Milch. „Gutes Essen, gutes Geld“, sagen sie. Hinter uns im Gang versucht ein Zuhälter seine Mädchen an die Matrosen zu vermitteln.
Eine richtige Hafen-Szene gibt es in Bremen nicht mehr. Die Puffs und Striptease-Lokale in Gröpelingen haben zugemacht. Die gesunkenen Gehälter der Matrosen haben die Nachfrage sinken lassen. „Hier quirlte mal das Leben. Die Leute sind aber nicht moralischer geworden, sondern haben schlichtweg kein Geld mehr“, erklärt Bieler. Die Schließung der Werften gab den Rest dazu. Nicht daß Bieler und Wellerding dem nachtrauern, aber ein bißchen wehmütig sind sie schon. „Aber wenn sogar die Prostituierten an Bord kommen, warum dann nicht auch ein Pfarrer?“ Der Hafen entwickelt sich eben weiter. Für tot halten ihn beide nicht. Und bald können sie wieder Schiffe direkt vor ihren Fenstern anlegen sehen – die Zitrusdampfer vor dem neuen Valensina-Werk.
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