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Klassewitz auf der Toilette

■ Ein generöser Wurstfabrikant spendierte dem Neuen Museum Weserburg zwei fröhliche Spender von fleischlichem Trost

Kunst raus aus den Museen und rein in den Alltag: Ach richtig, das war ja auch mal so eine peinlich-pathetische Manifesterei, die durch die Kunstszenen vagabundierte. Wer hätte gedacht, daß sich damit ein entzückendes Späßchen machen läßt? Das geht so: Bei der jüngsten Dauerleihgabe der Weserburg ist der „Alltag“/das Ganzandere gerade mal einen 50m-Gang weit vom Ausstellungsraum im Erdgeschoß entfernt. Er heißt hier Herren- und Damentoilette.

Dort wurde den beiden Handtuchspendern der Marke „Kimberly Clark“ von Susanne Weirich eine Sonderausstattung namens „Trostspender“ verpaßt. Synchron zum Abtrockpapier – so grau und rauh, daß es sogar den Blauen Umweltengel verjagen würde – spucken sie Mono- und Dialogschnitzel aus Hollywoodfilmen der zynischen Sorte aus. Den Aufpreis dafür (ungefähr in der Größenordnung einer PKW-Klimaanlage) bezahlte ein Wurstfabrikant – schließlich wissen wir spätestens seit den Schokofabrikanten Sprengel und Ludwig, daß schnödes Leib- und Magen-Gewerbe durch Mäzenatentum kompensiert werden sollte.

Der Toilettenbesucher, der sich gerade mehr oder weniger erfolgreich der verrotteten Teile seines Innenlebens entledigt hat, wird nun also von Harvey Keitels Sychronstimme – sie versteckt sich in einem Sound-Mikrochip – dazu ermuntert, versprengte Hirnreste und Bluttümpelchen zügig und gründlich zu beseitigen. Wir befinden uns nämlich gerade in einer Szene von „Pulp Fiction“, kurz nachdem die notorisch unachtsamen Gangster ihren Beifahrer durch versehentlichen Kopfschuß teilverflüssigt haben.

Benutzerinnen des Damenklos müssen sich hingegen anhören, wie Jack Nicholsons Synchronsprecher die kurzen Pausen zwischen seinen Kotzanfällen dazu mißbraucht, in nicht allzu gewählten Worten seiner Distanziertheit gegenüber dem schönen Geschlecht Ausdruck zu verleihen. Der Museumsgast, der gerade im Glücksgefühl schwimmt, seine Körpersäfte wieder ins rechte Lot gebracht zu haben, und zur finalen Reinigung am jungfräulich weißen Waschbecken schreitet, wird also von Susanne Weirich mit diversen physischen und seelischen Schweinereien des Menschseins bespritzt. Gar manche Medien wichsten sich (aus thematischen Gründen sollte dieses unschöne Wort an dieser Stelle ausnahmsweise erlaubt sein) zu diesen angenehm unscheinbaren Installationen ihren Teil ab („... Nachdenken über die perfekte Medienwelt ...“, „... ist es die Ersatzwirklichkeit des Films ...?“). Warum kann man einen Klassewitz nicht einfach einen Klassewitz sein lassen? bk

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