: Die Sehenswürdigkeiten des Krieges
Neuer Tourismus in Kambodscha: Das Ende des Bürgerkrieges macht es möglich, auf den Spuren der Roten Khmer zu wandeln. Von Pol Pots Grab über die Minenfelder bis hin zu den „Killing Fields“ ■ Von Volker Klinkmüller
In Nordwestkambodscha haben sich die dort stationierten Soldaten etwas Besonders einfallen lassen: Für 200 thailändische Baht (rund 11 Mark) führen sie Touristen zum letzten Unterschlupf und zur Grabstätte Pol Pots im Grenzgebiet bei Anlong Veng. Ein aus Holz und Stroh gebastelter Schrein kennzeichnet den Ort, wo der Tyrann eingeäschert worden sein soll. Daß man zur Befeuerung des Scheiterhaufens nicht nur alte Autoreifen, sondern auch gleich Pol Pots Mobiliar und seinen ganzen Hausrat verwendet hat, mag heute bereits bedauert werden. Das in seinem nahe liegenden Sterbehaus geplante Museum muß schließlich bestückt werden.
Seit die letzten Rebellen der Roten Khmer Anfang März kapituliert haben, sind es nicht mehr allein die weltberühmten Tempelanlagen von Angkor, die Besucher in das kriegsgeplagte Land locken. Durch das offizielle Ende des Bürgerkriegs und eine neue, relativ stabile Regierung ist Kambodscha auf dem besten Weg, endgültig auf die touristische Landkarte Südostasiens zurückzukehren. Schon jetzt erreichen die Besucherzahlen im Vergleich zu den Vorjahresmonaten Steigerungsraten von über 30 Prozent. Als Voraussetzung dafür gilt die neue „Politik des offenen Himmels“, die – gegen den Widerstand von Hoteliers und Reiseagenturen in der Hauptstadt Phnom Penh – internationale Direktflüge zur Tempelprovinz Siem Reap ermöglicht.
Immerhin ist es erst wenige Jahre her, daß das Land im „Fielding's guide to the world's most dangerous places“ mit fünf Sternen die schlechtestmögliche Bewertung erhielt und als „feuerfreie Zone“ mit tödlichen Risiken für Touristen eingestuft worden war. Mittlerweile sind die ausgedienten Bürgerkriegsminen – neben gewissen Restrisiken durch Bandenüberfälle und Beschaffungskriminalität – zur größten Gefahr abseits gängiger Touristenpfade geworden. Zwischen vier und zehn Millionen davon sollen noch in kambodschanischer Erde lauern.
„Ohne Risiko kein Gewinn“, meinen Axel und Torsten aus Berlin, die auf zwei Geländemotorrädern bis nach Rattanakiri im äußersten Nordosten Kambodschas vorgedrungen sind. Die abgelegene Provinz besteht noch überwiegend aus Tropenwäldern, in denen geheimnisvolle Minderheiten leben und wo es noch Tiger und vielleicht sogar Kouprey-Dschungelkühe und Java-Nashörner geben soll. „Sicher, ein paar von diesen roten Totenkopfschildern haben wir unterwegs am Straßenrand gesehen“, berichten sie. „Aber schließlich muß man sich beim Pinkeln ja nicht allzuweit in die Büsche schlagen.“
Als nächstes wollen sie versuchen auf dem Landweg nach Pailin zu gelangen. Der Ort liegt an Kambodschas Westgrenze zu Thailand – wie auch die benachbarte Hügellandschaft von Phnom Malai, wo sich die wichtigsten Führer der Roten Khmer bisher noch ungestraft eines ruhigen Lebensabends erfreuen können. Einst gehörte diese Region zu den wichtigsten Bastionen der Guerilla, um die es immer wieder erbitterte, verlustreiche Kämpfe gegeben hatte. Noch immer erinnern markierte Minenfelder, aber auch überwucherte Panzerwracks, ausgediente Geschützstellungen und anderer Kriegsschrott daran.
Mit ihrem großen Spielkasino, mehreren neuen Restaurants und Nachtclubs scheint die frühere Rebellenhauptstadt Pailin inzwischen sogar wieder an die touristischen Traditionen der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Weiträumig abgesichert wird das Gebiet nach wie vor – für nicht wenige Traveller ein besonderer Nervenkitzel – durch Rote Khmer, die lediglich in die Uniform von Regierungssoldaten geschlüpft sind.
Das gilt auch für das rund 300 Kilometer weiter nördlich liegende Anlong Veng, wo die Rebellen im März letzten Jahres ihren Widerstand aufgegeben hatten. In diesem ehemaligen Guerillagebiet liegt auch die Tempelanlage von Preah Vihear, die nach Angkor Wat zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des touristischen Neulands zählt. Fast schon symbolisch war der zwischen 900 und 1150 errichtete Tempel dem Gott Shiva geweiht, der nach der hinduistischen Mythologie zuständig ist für Zerstörung und Erneuerung. Preah Vihear war nicht nur als Kulturgut, sondern auch wegen seiner strategischen Bedeutung jahrhundertelang umkämpft. Seit Juli 1993 hatten es die Roten Khmer zu einem prestigeträchtigen Bollwerk ausgebaut. Trotz unübersehbarer Kriegsschäden thront das Bauwerk als eindrucksvolles Symbol für den neuen Kambodscha-Tourismus über der Landschaft.
Angesichts dieser wieder zugänglichen traditionellen Touristenattraktionen ist zu befürchten, daß andere wichtige Orte an Bedeutung verlieren. Wie zum Beispiel das Tuol-Sleng-Museum in Phnom Penh, dessen Besuch beim Wandeln auf den Spuren der Roten Khmer keinesfalls versäumt werden sollte: Dabei handelt es sich um ein ehemaliges Gymnasium, das während des Pol-Pot-Regimes zum berüchtigten Sicherheitsgefängnis „S-21“ umfunktioniert und in den achtziger Jahren mit Hilfe der DDR als Völkermordmuseum hergerichtet wurde. Eine Büste Pol Pots findet sich dort genauso wie Folterwerkzeug und dokumentarische Gemälde, die von einem der nur sieben Überlebenden angefertigt wurden.
Der Bestand dieser Gedächtnisstätte ist nicht gesichert, denn die Regierung hat Schwierigkeiten, die Gehälter des Museumspersonals aufzubringen. Viele Exponate und Dokumente – wie die Fotos und Geständnisse der Gefolterten – drohen im tropischen Klima allmählich zu verrotten.
Dabei könnten die in Tuol Sleng gesammelten Beweise große Bedeutung gewinnen, falls es eines Tages doch noch zu einem Tribunal gegen die Führungsspitze der Roten Khmer kommen sollte. Einen möglichen Kronzeugen dafür konnte man jedenfalls schon auftreiben. Es ist kein Geringerer als Kaing Khek Iev, der zur Pol-Pot-Zeit „Duch“ genannt wurde und das Tuol-Sleng-Gefängnis leitete. Bei einem Ortstermin lobte er die gute Dokumentation der von ihm begangenen Verbrechen. „Nur sind die Babys“, so soll er angemerkt haben, „nicht auf Bajonette gespießt, sondern gegen Baumstämme geschleudert worden.“ Normalerweise wurden die Häftlinge von Tuol Sleng – über 15.000 sollen es gewesen sein – vor die Tore der Stadt verbracht, wo sie auf dem „Killing Field“ von Choeung Ek bestialisch ermordet wurden. Auch an diesem Tatort droht den Genozidbeweisen unerwartete Gefahr: Immer wieder werden japanische Touristen dabei beobachtet, wie sie kleinere Knochenteile oder Zähne der Ermordeten als Souvenirs in ihren Taschen verschwinden lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen