: Pop der kleinen Momente
Auf ihrem neuen Album „Wo ist hier“ finden Die Sterne zu einem ziemlich verbindlichen Weg in die Gegenwart ■ Von Sebastian Hammelehle
Da kommt er rein, der Spilker. Zu spät - o.k., das gehört sich so für einen Popstar. Er bestellt ein Alsterwasser an der Bar - o.k., auch das gehört sich so für einen Popstar. Besonders, wenn er fast schon zu einer Hamburgensie geworden ist: Sänger bei den Sternen, einer der zentralen Bands dieses Phänomens, das die sogenannte Hamburger Schule war. Die Schule, deren Vertreter in Kneipen wie dem Pudel's Club und dem Karmers vorgelebt haben, was Blumfeld in "Zeittotschläger" beschrieben haben: "Für fünf Mark Freiheit und für dreißig Mark Bier." Die Schule, die Rock mit deutschen Texten kombinierte, denen die Hörer anmerken können, dass deren Verfasser nicht so C&A-Werbespot-kompatibel waren wie z.B. die Hamburger Band Selig - und dass die Musiker manchmal sogar linke Theoretiker gelesen hatten. Die Schule, mit der heute keiner ihrer Vertreter etwas zu tun haben will.
Das ist nicht weiter verwunderlich - welche Band läßt sich schon gerne ein Etikett aufkleben? Nur: Was gibt es blöderes als eine Band, die in keine Schublade passen will? Sein Alsterwasser hat Frank Spilker bekommen, er geht rüber zum Tisch. Schnell von hinten, ohne dass es peinlich wird, geschaut, was er anhat, der lange Lulatsch: Lederschuhe mit Flechtwerk, keine Socken, Flohmarkthemd, Flohmarkthose. Optisch hat sich scheinbar nichts geändert - ganz der Pudel-Club-Hocker. Also, Gespräch eröffnen: "Frank, gefällt dir Musik, wie sie hier läuft eigentlich auch?" Der Spilker kennt die Musik gar nicht. Es ist Kruder&Dorfmeister. Das ist wichtig, weil die Sterne auf ihrem neuen Album "Wo ist hier" den Sound der späten Neunziger ebenso gut treffen wie es die beiden Wiener mit ihren Remixen von einer anderen Seite aus tun.
Spilker setzt sich hin. Und entschuldigt sich erstmal: Zu spät gekommen sei er nur, weil er noch im Kindergarten habe aufpassen müssen. Das passt schon weniger zum Popstar. Zwei Kinder hat Spilker inzwischen, deshalb sitzt er im Vorstand eines selbstverwalteten Kinderladens und zum Musikmachen oder "rumspinnen" wie er sagt, hat er nur noch wenig Zeit. An "Wo ist hier" hat er selbst nur nachmittags gearbeitet. Das entspricht dem Klischee vom Hansestadt-Bohemien dann gar nicht mehr. Aufgenommen haben die Sterne im Imperial-Studio an der Stresemannstrasse. Dort musizieren auch Stella und Sand 11. Deren Arbeitsweise hat "Wo ist hier" geprägt. Zum ersten Mal haben die Sterne auf diesem Album die Lieder am Computer zusammengesetzt. Anders als auf den beiden vorigen Platten "Posen" und "Von allen Gedanken..." wirkt die Musik wie aus einem Guss. Die Band verärgert ihre Hörer weder mit Nerv-Frickeleien ("Merg.Id", "Unter Geiern II"), noch mit Abzählbeat ("1,2,3 Tier"). Auf „Wo ist hier“ gibt es einige prima Pop-songs, darunter die Single "Big in Berlin"; der Schlurfgroove, der sich durch die ganze Platte zieht, könnte der Soundtrack sein für das letzte Bier in der Küche nach einem langen Ausgeh-Abend, rutscht aber nicht ab in die Beliebigkeit anderer Bands, die zur Zeit Rock, Pop, Groove und die Clubsounds und Vibes der 60er und 70er am Rechner kombinieren.
"Wo ist hier" ist das beste Album der Sterne, seit "In Echt" 1993 erschienen ist. Damals standen die Sterne hoch im Kurs. Der Vertrag bei einer grossen Plattenfirma, der dem folgte, brachte allerdings anfangs weder durchgehend gelungene Alben noch wirklich grossen Umsatz. Wenn auch die Sterne sich durchaus als Popband verstünden, die gerne auch mehr Erfolg hätte - auf die berühmteren Tocotronic sei er nicht zu neidisch, sagt Spilker: Er sei froh über den Spielraum, nicht mit zwei, drei Schlagworten vermarktet werden zu können, von denen er sich irgendwann befreien müsse, so wie die Hamburger Band die Goldenen Zitronen es irgendwann mußte und so wie die Hamburger Band Tocotronic es mit ihrem neuen Album auch gerade versucht. Mit der Single "Was hat dich bloß so ruiniert" waren die Sterne 1996 selbst nah dran an solchen Sorgen – die Lebensentwurf-Kritik mit dem Slogan als Refrain lief auch in der Lüneburger Studentendisco. Eine "fiese Vorstellung" wie Spilker heute zugibt. Als "cooler" empfand er selbst den Moment, als er sein "Universal Tellerwäscher" in einer "Spelunke" auf der Veddel hörte – mit Intellektuellenfeindlichkeit hat das nichts zu tun, echt nicht. Dafür spricht einiges, zum Beispiel, dass Spilkers Texte abstrakter geworden sind mit den Jahren. Wo früher eine ganze Geschichte erzählt wurde, ist es heute eher ein Gedankenfetzen oder ein kleiner Moment um den herum ein Sterne-Text entsteht - Spilker sieht das übrigens anders. Aber welcher Autor versteht schon seine eigenen Texte? Antwort: Einer der Hamburger Schule eben. Hier endet der Text – und das Gespräch. Spilker, der symathische Kerl, bleibt noch ein bisschen sitzen. Blättern Sie ruhig um, er geht dann gleich raus.
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