piwik no script img

Die Schalensitze sind montiert

taz testet die Liga (VII): Nach dem Wunder vom Mai gefällt sich Eintracht Frankfurt schon wieder darin, den „JayJay“-Mythos neu zu inszenieren    ■ Von Klaus Teichmann und Bernd Seib

Frankfurt (taz) – Nach wie vor schwebt jeder Frankfurter Fußballfreund auf einer Wolke der Glückseligkeit: Gerne würden wir die Geschichte des Wunders Klassenerhalt nochmal ausführlich erzählen. Ach ja. Zur neuen Saison: Die Eintracht hat sich gut verstärkt, alle Testspiele gewonnen – im letzten Vorbereitungskick wurden die Münchner Bayern am Donnerstag mit 2:1 abgefertigt.

Wird Fußball gespielt? Bedingt. Im defensiven Bereich verunmöglicht dies der Uwe-Bindewald-Faktor. Ausnahme: Libero Olaf Janßen. Vorne muss man abwarten, ob der Verlust der beiden Kreativköpfe Thomas Sobotzik und Bernd Schneider durch Rolf-Christel Guie-Mien und Horst Heldt kompensiert werden kann. Heldt wird mit Ralf Weber ein starkes Tandem auf der linken Seite bilden, Guie-Mien könnte zum von Trainer Jörg Berger erhofften Knaller in der Okocha-Bein-Grabowski-Tradition werden.

Wie funktioniert das 3-5-2? Im Prinzip wie weiland 1986, als Kaiser Franz im fernen Mexiko die Vizeweltmeisterschaft einfuhr. Libero Olaf Janßen spielt vor oder hinter den Manndeckern. Davor wird munter gegrätscht, Alexander Schur ist der staubsaugende Wadenbeißer. Vorne gibt's Fjörtoft fürs Gewühle und Salou (wenn Platz da ist). Konterspieler Yang muss erst einmal auf seine Chance warten. Jörg Berger hält nicht viel vom Hype um taktische Modernisierungen. „Man wirft mir immer vor, dass ich überall, wo ich hinkomme, dasselbe sage, aber es funktioniert.“ Sollen doch die jungen Schnösel mediengerecht an Magnettafeln posieren – Berger ist definitiv „old school“.

Was tun die Neuen? Verstärken, hoffen sie alle am Riederwald. Allenfalls die Abgänge ersetzen, meinen krittelnde Stimmen. Salou, Kracht, Guie-Mien und Heldt dürften Stammplätze haben; die anderen (Rasiejewski, Bulut, Dombi und das 18-jährige Supertalent Patrick Falk) ihre Einsätze bekommen. Präsident Rolf Heller freut sich schon: „Salou ist seit Jahren mein absoluter Wunschspieler.“ Und wenn ein freigestellter AOK-Bezirksleiter erst einmal zu schwelgen beginnt ... Seit Wochen feilen Präsidium und lokale Sportpresse Hand in Hand am neuen Mythos, inszenieren ein Revival der erfolgsverwöhnten frühen 90er Jahre: Salou und Guie-Mien, einer im Sturm und einer im Mittelfeld – genau wie damals der Tony und der JayJay. Und das in der Stadt, wo einst festgestellt wurde, dass Mythos und Aufklärung bisweilen durchaus in eins fallen.

Wer hilft? Einige. Wenn gar nichts mehr geht: Thomas Epp, der versierte Radio-Hacker. Der Dauerverletzte errechnete beim klassenerhaltenden 5:1 gegen Kaiserslautern die sich ständig verändernden Spielstände am schnellsten hoch. Dann hilft natürlich die ISPR, die für das Makeln der Vermarktungsrechte 18 Millionen auf den Riederwald regnen ließ und die Investitionen erst ermöglichte. Weiterhin hilft: Die Fußballlehrerausbildung der DDR, die neben Berger auch Co-Trainer Frank Engel genossen hat.

Wer stört? In erster Linie der Aufstieg von Kickers Offenbach in die 2. Bundesliga. Zum zweiten der Gips von Trainer Berger nach seinem Achillessehnenriss. Am gefährlichsten jedoch: der virulente Geist der Diva, der sich schnell wieder Bahn brechen kann, sollte Präsidiumsmitglied Lämmerhirdt in neuerlichem Anflug von Größenwahn erneut aus 5 Spielen 16 Punkte fordern.

Taugt der Trainer? Statistisch gesehen: ja. Jeder seiner Rettungsmissionen ließ Jörg Berger einen Platz im europäischen Wettbewerb folgen. Und überhaupt: Drohbriefe an die taz wegen dieser majestätsbeleidigenden Frage sind längst unterwegs.

Ist das Waldstadion Champions-League-tauglich? Schalensitze gibt es schon. Doch in Frankfurt plant man Großes: Gleich zwei Entwürfe für ein neues Stadion buhlen derzeit um die Gunst der Eintracht. Die Stadt möchte das Waldstadion modernisieren, während die Deutsche Bank vorhat, einen neuen, schicken Kasten mitten in die City zu stellen. Präsident Rolf Heller verhandelt noch um die genaue Lage seines Privatparkplatzes.

Taugt der Torwart? Diese Rubrik ist bei der SGE nicht adäquat. Torhüter Oka Nikolov ist Weltklasse.

Wie schießt man Tore? Entweder durch Flanken über die linke Schokoseite (Weber, Heldt) oder den Beinschen tödlichen Pass (vielleicht von Guie-Mien?) auf Salou/Yang.

Wer ist der Beste? Jörg Berger – keine Frage. Euphorisierte Eintracht-Fans brachten über der Berger Straße, Promeniermeile von Frankfurts Stadtteil Bornheim, „Jörg“-Schilder an.

Folge: Im Fußball sind auch weiter Wunder möglich. Allerdings wohl kaum jährlich – die Qualifikation für die Champions-League durch ein Tor von Fjörtoft in letzter Minute bleibt dieses Jahr noch aus. Dennoch und auch wenn uns alle auslachen:

Gefühlter Tabellenplatz: 5.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen