piwik no script img

Leider kommt hin und wieder der Ball in die Quere

■ taz testet die Liga (XII): Bei 1860 München spielt die leichtathletische Komponente eine zentrale Rolle, ansonsten gelingt dies höchstens noch Neuzugang Thomas Häßler

Wird Fußball gespielt?

Nennen wir es ruhig so. Immerhin treten auch die Angestellten des TSV 1860 München bei der Arbeit den Ball mit Füßen. Und zwar vorzugsweise so, dass er über die Flügel rollt und von dort irgendwie wieder in die Mitte und auf ein Körperteil irgendeines Stürmers. Aber man darf dabei die leichtathletische Komponente nicht übersehen. Werner Lorant ist nämlich ein Trainer, der großen Wert darauf legt, dass sein Personal ordentlich getrimmt in die Saison geht. Deshalb hat er auch in diesem Jahr wieder das bei der Belegschaft eher unbeliebte Lauftrainingslager durchgezogen. 20 Kilometer Joggen täglich – Christian Prosenik und Marcus Pürk, zwei zugekaufte Österreicher, haben das mit vernehmlichem Stöhnen kommentiert, was Lorant naturgemäß reichlich egal war. Er bleibt dabei: „Wenn ich läuferisch stärker bin als mein Gegner, kann mir nichts passieren.“ Dass einem beim Wettlauf mit dem Rivalen auch mal ein Ball in die Quere kommt – Berufsrisiko.

Taugt der Trainer?

Unbedingt, sagt der, auf den es ankommt bei 1860 (Präsident Karl-Heinz Wildmoser); deshalb hat er neulich erst Lorants Vertrag ohne Not um zwei Jahre bis 2003 verlängert. Eigentlich nicht, zumindest wenn 1860 in den nächsten 30 Jahren noch mal besser abschneiden will als Platz 9, sagen ein paar Versprengte, auf die es überhaupt nicht ankommt (Journalisten). Sie finden, dass das System Lorant sich überlebt hat. Das System Lorant basiert auf viel Gebrüll, schlechter Pädagogik und wenig Hintersinn. Das, so die Theorie, wirkt bei modernen, halbwegs intelligenten Profis auf die Dauer nicht. Klug gedacht, aber was hilfts. Lorants größter Fan heißt Wildmoser.

Taugt der Torwart?

Gegenfrage: Welcher? 1860 hat nämlich zwei, die sich im Laufe dieser Saison vermutlich häufiger abwechseln werden, als ihnen lieb ist. Derzeit im Vorteil: Daniel Hoffmann. Der ist ein bisschen untersetzt und maulfaul und hat in den zwei Jahren, in denen er bei 1860 ist, noch nicht bewiesen, dass er ein Ballfänger von höheren Gnaden ist. Michael Hofmann schon. Der ist ziemlich drahtig und beredt und war in der vergangenen Rückrunde der einzig fähige Löwe. Aber neulich hat er bei einem Testspiel dem Gegner den Ball zum erfolgreichen Torschuss in den Lauf gekickt und offenbar auch im Training nicht gehalten wie gewohnt. Lorant sagt: „Daniel Hoffmann hat die bessere Vorbereitung gemacht.“ Widerrede zwecklos.

Wer hilft?

Der Gegner. 1860 kann nur stark sein, wenn der Gegner schwach ist. Oder dumm und nicht kapiert, dass für ein achtbares Ergebnis gegen die Löwen schon das bewährte Hausrezept gegen schlicht strukturierte Teams ausreicht. Einfach die Zentralposition zudecken (also Thomas Häßler), Flügel verrammeln, kurz warten, bis 1860 das erste Eigentor schießt. Fertig.

Wer stört?

Der Ball. Immer wieder. Zumindest war es in der Rückrunde der vergangenen Saison so. Jetzt ist immerhin Thomas Häßler (33) da, vor vielen (drei) Jahren Europameister, vor noch mehr (neun) Weltmeister und einer der besten Balljongleure, den dieses Land (Deutschland) je hervorgebracht hat. Häßler hat das Niveau eindeutig angehoben. Aber wehe, er verletzt sich.

Was tun die Neuen?

Die meisten spielen mit. Thomas Häßler (kam aus Dortmund), weil er der Star ist. Thomas Riedl (Kaiserslautern), weil er gut ist. Marcus Pürk (Rapid Wien), weil Lorant niemanden sonst hat für den linken Flügel. Martin Max (Schalke), weil er die meisten Tore geschossen hat in der Vorbereitung. Stefan Passlack (Mönchengladbach), weil Holger Greilich verletzt ist. Christian Prosenik (Rapid Wien) dagegen wird ein Wanderer bleiben zwischen Bank und Spielfeld, weil er im defensiven Mittelfeld in Roman Tyce und Thomas Riedl zu starke Konkurrenz hat; Filip Tapalovic (Schalke) eher wenig mitarbeiten, weil er nur mäßig begabt ist. Und Libero Tomas Votava (Sparta Prag) das erste halbe Jahr zuschauen wegen eines Achillessehnenrisses. Lorant hat deshalb als Ersatz flugs den eigentlich schon berenteten Abwehrchef der vergangenen Saison, Gerald Vanenburg, reaktiviert. Der ist 35 und hat zuletzt vor allem Tennis gespielt. Seine Hauptbeschäftigung zur Zeit: Konditionstraining.

Wer ist der Beste?

Eigentlich Thomas Riedl. Der ist jung, stark, schnell und könnte bei 1860 zum Nationalspieler werden. Aber Icke zuliebe sagen wir trotzdem mal: Thomas Häßler.

Folge:

Es wird in diesem Jahr bei 1860 wieder allerhand geboten sein: große Siege, lächerliche Niederlagen, schlappe Unentschieden. Und bestimmt ein paar dieser herzerfrischend widersinnigen Kraftsprüche der Herren Lorant und Wildmoser.

Gefühlter Tabellenplatz: Trotz allem: ein guter 13. Rang.

Fred Stein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen