piwik no script img

Mehr Gefühl mit Orwo-Film

Stephan Wagner hat seinen Debütfilm „Kubanisch Rauchen“ mit altem Filmmaterial aus der DDR gedreht. Das macht sich bei Liebesszenen besonders gut  ■ Von Andreas Becker

Der Titel des Erstlingswerks von Stephan Wagner führt zielgenau in die Irre: Sein Film hat nichts mit Kuba zu tun, schon gar nichts mit Zigarren. Kubanisch zu rauchen bedeutet, eine Zigarette wegzuziehen, ohne einmal abzuaschen. Paul, Meister dieser Kunst, behauptet, dadurch würde man maximalen Genuss erzielen.

Ob das stimmt, ist nebensächlich, auf alle Fälle kann er mit seiner Geschichte von den Kubanern, die auf der Tabakplantage leben, aber kein Gramm Asche verschenken, prima die Frauen betören. Denn zu der Zigarette danach gehört für einen Womanizer wie Paul (Simon Licht) auch die Gutenachtgeschichte für sie, in diesem Fall für seine Geliebte Lisa.

Paul also hat Erfolg und genießt. Sein Freund Bernd (Thomas Morris) dagegen ist Geldeintreiber und will raus aus dem Milieu. Paul ist für ihn der Schlüssel zum besseren Leben, also schlägt er ihm vor, ein „Altwarengeschäft“ zu übernehmen.

Das Bimmeln der Ladenglocke ihres Antiquitätenladens in Wien soll Glück verheißen. Aber sie weckt ganz andere Erinnerungen: Bruno Ganz hatte auch so eine in seiner Bilderrahmenwerkstatt in Wim Wenders' Film „Der amerikanische Freund“. Erinnert sich noch jemand? Der Film spielte im Hamburg der späten 70er Jahre. An den Wänden warb man für die RAF, persönlich war man unglücklich. Der Übervater kam aus Amerika. Es war Dennis Hopper, und er brachte Prüfungen für deutsche Menschenkinder, die mit Mord endeten.

In „Kubanisch Rauchen“ kommt der Übervater auch aus Amerika und heißt Seymour Cassel. Cassel, der in den 60er Jahren für Cassavetes spielte, hat Wagner mal auf einer Party versprochen, eine Rolle in seinem ersten Film zu spielen. Unser Regisseur hatte bis dahin gerade einen „Tatort“ gedreht. Als Gangsterboss Dragan erteilt Cassel tödliche Aufträge. Seine Gehilfen müssen dann losgehen und Leuten, die „nicht zahlen“, das lange spitze Messer in die Nase bohren.

Bernd nimmt einen Kredit auf bei Dragan. Sein neues Leben mit den alten Sachen im Laden gilt nur auf Pump. Nun wird er der Getriebene sein. Merkwürdig diese Art der Wiener, brutal zu sein, bevor sie zuschlagen oder –stechen: Sie brüllen irgendwem „Schleich di!“ ins Gesicht, und der verzieht sich dann besser auch.

In Wagners Film hat man ständig Angst, diese Typen könnten aus irgendeiner finsteren Ecke wieder auftauchen. Auch wenn in Wien mal die Sonne scheint: Es herrscht die Atmosphäre offener Löcher im Asphalt.

Als Paul beim Luftgitarrespielen am Steuer die Kontrolle über sein Auto verliert, er sich fünfmal mit dem Auto überschlägt, ist die Asche immer noch dran. Plötzlich aber fällt aus einer Statue ein merkwürdiges weißes Pulver. Und schon taucht die Polizei auf, und ein durchgeknallter Bulle erzählt, in der gleichen Kurve sei sein Hund überfahren worden.

Nächstes Problem für Paul: Neben seiner Geliebten gibt es noch Ehefrau Eva (Eva-Maria Straka). Die fragt dann im Supermarkt neben dem Spaghettiregal: Liebst du mich eigentlich? Seine Affäre mit Lisa (Tatjana Alexander) ist gefährlich. Sie trägt ein enges Halsband und hat kleine Brüste. Ihr Freund ist Pilot. Die ersten Zärtlichkeiten zwischen Paul und Lisa ergeben sich in ihrer Wohnung. An der Garderobe hängt die Pilotenuniform und an der Wand ein Plakat für Faßbinders „Katzelmacher“. Welch ein Beginn für eine Liebe! Wagner hat seinen Film mit alten Überresten von Orwo-Schwarzweißfilm gedreht. Und mit richtig guten Schauspielern. Als sich Paul und Lisa endlich lustvoll verknoten, wird der Vorteil des Schwarzweißmaterials besonders sinnfällig. In starken Kontrasten begegnen sich Mann und Frau, die Körper werden abgetastet mit Film.

Das ist erotisch, aber nicht peinlich voyeristisch. Vielleicht lag es ja am Orwo-Film, dass Sex in der DDR für uns Westler immer so hoffnungslos romantisch und gefühlsecht erschien. Wagner versöhnt stilvoll den westdeutschen Autorenfilm mit dem Defa-Film. Fast schade, dass die Akteure nicht auch noch über einen See rudern.

In einer der schönsten Szenen liegen Lisa und Paul schmusend unter der Einflugschneise des Flughafens. Der Pilot ist gerade weggeflogen, und Paul sagt: „Was wäre, wenn der uns von dort oben hier liegen sieht?“ Der Nebenbuhler als Gott. „Meinst du, du könntest ewig mit mir zusammen sein?“, fragt Lisa.

Aber Paul bringt sich selbst um seine Geliebte. Er tritt den Nasenschlitzer zusammen. Und sie, die ihn vorher auf dem Rummelplatz mit Zuckerwatte umwarb, wendet sich ab. Dabei hat er ihn doch für sie zusammengetreten und für seinen Freund Bernd. Der trifft noch einmal Dragan und fragt ihn, warum er ihm all das antue. Das hast du dir selbst angetan, sagt Dragan unheimlich weise.

Nur Paul ist unglücklich, weil Eva weg ist. „Du kannst sie doch alle haben, schau dich doch nur im Spiegel an“, sagt Bernd zu Paul. „Aber ich?“ Am Schluss bleibt Paul nur der Genuss des Passivrauchers: Er darf seiner Frau Eva beim Nichtabaschen zusehen.

Welcome back, deutscher Film!

„Kubanisch Rauchen“. Regie und Buch: Stephan Wagner. Mit Simon Licht, Seymour Cassel, Tatjana Alexander u. a. Österreich/Deutschland 1998, 88 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen