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Alle einig: Das sieht doch gut aus!

Die US-Amerikanerin Stacy Dragila, erste Weltmeisterin im Stabhochsprung, schwingt sich auf zur engagierten Propagandistin der jungen Disziplin  ■   Aus Sevilla Matti Lieske

„Kugelschleudern für Frauen, wer will denn so was sehen?“ Nein, Jos Hermens ist kein Freund der Einführung immer neuer Disziplinen in der Leichtathletik. Eine Ausnahme macht der Niederländer, dessen Managementagentur rund 150 Topathleten und -athletinnen betreut, aber doch. „Frauen-Stabhochsprung“, sagt Hermens, „das sieht gut aus.“ Bei den Weltmeisterschaften in Sevilla stand die endlich von den weiblichen Hüpfern gestürmte bisherige Domäne der Bubkas und Tarassows erstmals im Programm und machte eine exzellente Figur.

Ein hoher Prozentsatz der rund 20.000 Zuschauer, die dem ersten Wettkampftag in Sevilla einen eher kärglichen Besuch bescherten, harrte aus, als die verbliebenen Springerinnen um die Medaillen kämpften. Gebannt sahen sie der Ukrainerin Anzela Balachonowa zu, wie sie nach ihrem allerersten missglückten Versuch des Abends über die bestehende Weltrekordhöhe von 4,60 m gemessen auf und ab schlenderte, sich ein wenig hinsetzte, ein Schlückchen Wasser trank, wieder ein paar Schritte ging und schließlich ein bisschen auf der Stelle hüpfte. Stabhochsprung in vollendeter Zelebration. Die epische Länge des Wettbewerbs verschafft den Protagonistinnen ein in der Leichtathletik besonderes Privileg: die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums. Wenn alle anderen längst in den Katakomben verschwunden sind, geht es bei ihnen erst richtig los.

Balachonowa hatten allen Grund, besorgt dreinzublicken. Wie die sichere Siegerin hatte sie gewirkt, jede Höhe souverän im ersten Versuch gemeistert, und dann kam plötzlich die US-Amerikanerin Stacy Dragila daher und schwebte locker über die 4,60 m hinweg. 14 Sprünge hatte Dragila da schon absolviert, Balachonowa erst sechs. „Das ist eben meine Art“, erklärte die 28-jährige Kalifornierin, „mein Trainer will, dass ich jede Höhe springe.“ Und er muss wissen, was er tut, schließlich vertreibt er zusammen mit seiner Musterschülerin Lehrbücher- und Videos über die Kunst des Stabhochspringens. Außerdem sei sie an Dauerbelastungen gewöhnt, sagt die auf einer kleinen Farm groß gewordene Kalifornierin, denn sie kam vom Siebenkampf zum Stabhochsprung. Damit weist sie – obwohl sie auf der High School Rodeoreiten betrieb – einen weit weniger exotischen Hintergrund auf als Balachonowa, die ebenso wie die Tschechin Daniela Bartova vorher Sportgymnastin war, oder gar die ehemalige Trapezkünstlerin Emma George.

Die Australierin, bis zum Samstag alleinige Weltrekordlerin mit 4,60 m, war nach einer Verletzung noch nicht wieder richtig fit, und spielte beim Wettkampf ebenso wenig eine Hauptrolle wie das mit großen Erwartungen gestartete deutsche Trio Nastja Ryshich, Yvonne Buschbaum und Nicole Rieger-Humbert. Nur letztere erreichte mit 4,40 m in etwa ihre Bestmarke und war am Ende Fünfte. Der Sieg aber wurde in einer anderen Dimension ausgesprungen.

Nachdem Balachonowa auch ihren zweiten Versuch über 4,60 m gerissen hatte, ließ sie in einem letzen Verzweiflungsakt die Latte auf 4,65 m legen. Knisternde Spannung im Stadion, doch die Ukrainerin scheiterte knapp an der neuen Weltrekordhöhe. Damit war Dragila strahlende Weltmeisterin und bekannte nach drei ebenfalls erfolglosen Versuchen über 4,65 m, ihre Sprünge 16 bis 18, dass sie nun „über keinen Aschenbecher mehr“ hüpfen könne. „Wir haben gute Unterhaltung geboten“, freute sich die Amerikanerin darüber, dass der Stabhochsprung – lange Zeit die reinste Emma-George-Show – inzwischen zu einem attraktiven, publikumswirksamen Wettbewerb gereift ist, bei dem „sieben oder acht Springerinnen“ gewinnen können. „Wir bringen der Leichtathletik eine Menge Wachstum“, sagt sie selbstbewusst, gerade in den USA habe die darbende „Track-and-Field-Szene“ so etwas bitter nötig. „Streetvault“-Wettkämpfe, Events wie ihr „100.000-Dollar-Sprung“ im Juni über 15 Fuß (4,59 m) am Strand von Santa Barbara – den Preis hatte eine Versicherungsgesellschaft ausgelobt – oder ihr hüllenloses Abbild in einem Kalender des Jahres 2000, der „sehr geschmackvolle Nacktfotos“ von US-Leichtathletinnen enthält, wie Hochspringerin Amy Acuff erläutert, sollen die Popularität ihres Sports steigern. Furchtlos spricht Stacy Dragila davon, dass Höhen von fünf Metern oder mehr keineswegs Utopie sind. Angesichts der technischen Defizite, die bei den meisten Springerinnen noch zu beobachten sind, keineswegs vermessen. Die Sportart entwickelt sich rapide. „Ich lerne jeden Tag dazu“, sagt Dragila, vor allem in den Wochen vor Sevilla habe sie sehr viel Technik trainiert, was der hauptsächlich von Kraft und Kampfgeist zehrenden Athletin beim langen „Überlebenskampf“ eines Mammut-Wettkampfes mit 18 Teilnehmerinnen sehr geholfen habe.

Ziemlich ungehalten war Dragila über die Mitteilung, dass die Stabhochsprungsiegerin nur die Hälfte der Siegprämie anderer Disziplinen erhalten würde. „Vorher habe ich nicht an Geld gedacht, sondern nur daran, hoch zu springen, aber jetzt finde ich es sehr unglücklich.“ Der Stabhochsprung sei immerhin seit 1997 etabliert und eine aufregende Sache. „Ich hoffe“, meinte sie sarkastisch, „dass man uns 2000 in Sydney nicht ein halbe Medaille gibt.“

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