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Kasparow kriegt Angst vor kleinen Kindern

■ In Las Vegas wird der neue Schach-Weltmeister fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit ermittelt. Die beiden amtierenden Titelträger vergnügen sich derweil beim Simultanschach in Besançon

Besançon (taz) – Die 500 Fans im Kursaal von Besançon stehen Kopf: Garri Kasparow marschiert zum Simultan ein. Im Beiprogramm der französischen Meisterschaft mobilisiert der weltbeste Spieler an einem Tag mehr Zuschauer als die WM des Weltverbandes Fide in einer Woche. Dort in Las Vegas steht es im Finale 1,5:1,5. In der dritten von maximal sechs Partien glich der Armenier Wladimir Akopjan mit den weißen Steinen nach 84 Zügen aus. Sein Kontrahent Alexander Chalifman (Russland) hatte trotz eines Minusbauern zweimal die Gelegenheit ausgelassen, mit stärkeren Zügen ein Remis und seine Führung zu verteidigen. Nun ist der Kampf um den Fide-Titel zwischen dem Weltranglisten-36. Akopjan und der Nummer 45, Chalifman, wieder offen.

Kasparow, der sich trotz der schon vier Jahre zurückliegenden letzten Titelverteidigung für den legitimen Weltmeister hält, wirkt derweil angeschlagen. Für ein erneutes Match gegen den Weltranglistenzweiten Viswanathan Anand (Indien) finden sich keine Sponsoren, die die gewünschten drei Millionen Dollar Preisfonds hinblättern. Ja, selbst Kasparows legendäres Selbstbewusstsein am Brett, wo er den meisten Kontrahenten nur Verachtung und eine hämische Miene in Siegeslaune schenkt, scheint angekratzt. Sogar das sportlich völlig unbedeutende Simultan stellte ein Armutszeugnis für einen Mann dar, der früher schon mal im Alleingang ganze Nationalmannschaften auseinander genommen hat. Zum Beispiel 1992 in Baden-Baden die deutsche mit 3:1.

Die rund 50.000 Mark Antrittsprämie, die der 36-Jährige gewöhnlich für ein Simultan kassiert, waren dem Russen in Besançon nicht genug: Von den Organisatoren verlangte Kasparow, die Zahl der halbwegs passablen Spieler im 25-köpfigen Teilnehmerfeld auf fünf zu begrenzen. Lediglich dieses Quintett durfte die sehr niedrige Weltranglisten-Einstiegszahl von 2.000 ELO übertreffen – ein bisher einzigartiger Vorgang. Die französische Nummer eins, Joel Lautier, kann sich nicht daran erinnern, jemals von solch einer Forderung gehört zu haben. Vor kurzem trat beispielsweise in Berlin der bei der Fide-WM in Runde eins gescheiterte Eduardas Rosentalis ohne Murren sogar gegen vierzig Gegner an, unter denen sich gleich elf Weltranglistenspieler befanden.

Anders Kasparow. Alle Teilnehmer, selbst die Kinder, wurden nach nationaler Wertzahl aufgereiht und bekamen ein Schildchen vorgesetzt, auf dass sie der Weltmeister ohne Verband problemlos einschätzen konnte. Offenbar fällt der Koryphäe ein Zacken aus der Krone, wenn sie in einer sportlich unbedeutenden Show-Veranstaltung verliert und sich dadurch Amateure über die Partie ihres Lebens freuen. Kasparows Anspannung dokumentierte sich mit einem steten Fußwippen bei jedem Halt. Selbst bei dem kleinen Mädchen am ersten Brett, einer Anfängerin, verweilte der Moskauer nervös. „Wahrscheinlich ist sie ihm nicht in seine Eröffnungsvorbereitung reingelaufen!“, ulkte Kasparows Angstgegner Lautier. Nach vier Stunden hatte Kasparow sein gewünschtes Resultat erzielt: 25 Partien, 25 Siege. Kein Kontrahent darf irgendwann seinen Enkeln erzählen, dass er einst gegen den Weltmeister remisierte oder gar gewann.

Außer – er ist morgen, am vermutlich vorletzten Tag von Anatoli Karpows Regentschaft, erneut im Simultan in Besançon dabei. Der Fide-Weltmeister blieb zwar ebenso wie sein Erzrivale Kasparow Las Vegas fern. Dem einen oder anderen Talent gönnt der frisch gebackene Vater aber schon einmal ein taktisches Remis. Vermeiden will Karpow nur zweierlei: Treffen mit Kasparow, was in Besançon gelang – und den Verlust seines WM-Titels. Der 48-Jährige droht der Fide mit gerichtlichen Schritten, sollte der Sieger des Duells Chalifman – Akopjan nicht mit ihm um die Weltmeisterschaft spielen. Hartmut Metz

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