■ Standbild: Krieg hinter den Bildern
„Mobilmachung“, Mi., 23.05 Uhr, N 3
1936. Irgendwo in England macht eine Firma einen Betriebsausflug. Man paddelt auf einem Fluss, man scherzt und picknickt. In Hamburg macht im gleich Jahr der örtliche Schlittschuhclub einen Ausflug ins Grüne. Man scherzt, man picknickt. Die Bilder gleichen sich. Es sind Amateuraufnahmen, flimmernd, grünstichig oder verwackelt. Jean Baronet hat diese Zufallsfunde zu einer losen Vorkriegschronik montiert, beginnend mit einer Demonstration der Linken in Paris 1936, endend mit dem Kriegsausbruch 1939: Vom linken Aufbruch in die Katastrophe.
Der Kriegsbeginn ist gewissermaßen der unsichtbare Fixpunkt der Bilder, der dem ziemlich disparaten Material die Richtung gibt. Denn diese Bilder mobilisieren das einfältige Besserwissen von uns Nachgeborenen. Unwillkürlich vermuten wir im Ausflugsidyll nichts als Wirklichkeitsflucht. An jedes Bild vom Badespaß stellen wir mit Baronet die Frage: Seht ihr denn nicht den kommenden Schrecken? Wie könnt ihr picknicken und baden gehen? Wir kennen das böse Ende.
Baronet spielt leider nicht mit diesem Effekt, mit unseren Erwartungen und Projektionen, sondern setzt auf eine ordentliche, aber wenig aufregende Ideologiekritik. Bilder von BDM-Mädchen unterlegt er mit dem verzerrten Soundtrack eines Volksliedes – als müsste man die Kraft dieser Bilder akustisch brechen, als müsste man uns vor diesen Bildern noch schützen. Das ist gut gemeint, aber in unseren postmodernen Zeiten, in denen „rechte“ und „linke“ Zeichen fast beliebig zitier- und kombinierbar sind, hoffnungslos von gestern.
Spielerisch geht es nur am Ende zu. Im Off ist eine Rede zu hören, die Mussolini auf Deutsch hält. Man versteht nur Wortfetzen und doch alles: die hohle Aufwallung der faschistischen Rhetorik, die donnernde Inszenierung der Macht. Und man denkt an „Great Dictator“, an die Wortfetzen in Chaplins wunderbarer Hitler-Persiflage. Für einen Moment verschwimmt die Grenze zwischen Dokument und Fiktion. Stefan Reinecke
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