: Hockend oder im Wasser gebären
In den Berliner Geburtshäusern und ambulanten Geburtshilfepraxen können Schwangere ihre Kinder ganz selbstbestimmt in einer entspannten Atmosphäre zur Welt bringen ■ Von Martin Kaluza
Zu Beginn ihrer Schwangerschaft hätte sich Susanne Becker in schwachen Momenten gewünscht, ihre Tochter in jedem Fall unter Vollnarkose zur Welt zu bringen, so groß war die Angst vor den Schmerzen: „Ich würde hinterher eine ganz wunderbare Mutter werden, versprochen, aber die Geburt sollten die anderen ohne mich regeln.“ Auf die Empfehlung einer Hebamme nahm Becker dann aber am Infoabend des Geburtshauses in Charlottenburg teil und entschloss sich schnell, dass ihr Kind hier das Licht der Welt erblicken sollte.
Die gemütliche Atmosphäre und die durchgehende Betreuung durch dieselbe Hebamme hätten ihr geholfen, der Angst vor der Geburt ins Gesicht zu sehen, erinnert sich Becker. Am Ende wollte sie das wichtige Ereignis zelebrieren – bei vollem Bewusstsein und ohne den Massenbetrieb einer Klinik. Am liebsten als Wassergeburt. Nicht zuletzt die dunkelblaue Gebärwanne der Einrichtung hatte es ihr angetan.
Fünf Geburtshäuser gibt es mittlerweile in Berlin und einige Geburtshilfepraxen. Das sind überschaubare Einrichtungen, in denen Frauen in wohnlichen Räumen ihr Kind ambulant zur Welt bringen können.
Besonderen Wert legen die Häuser darauf, dass sich die Gebärenden frei bewegen können. Ob sie ihr Kind hockend, stehend, sitzend, im Liegen oder im Wasser zur Welt bringen sollte, so die Idee, weiß die werdende Mutter selbst am besten: Während die Geburt in Rückenlage lange die Regel war, kommen so in Geburtshäusern nur acht Prozent der Kinder auf die Welt.
Nach dem Belieben der Gebärenden werden auch Kerzen im Raum aufgestellt und sie entscheidet, welche Personen bei der Geburt anwesend sein sollen: Nicht allein der Vater darf dabei sein, auch gute Freunde oder Kinder. Schon einige Stunden nach der Entbindung fahren Mutter und Kind wieder nach Hause, wo dieselbe Hebamme beide in den nächsten Wochen weiter betreut, auf Wunsch nach homöopathischen oder anthroposophischen Methoden.
Während in Krankenhäusern nach Schichtplan gearbeitet wird und zudem eine Geburtshelferin dort oft mehrere Geburten gleichzeitig betreuen muss, hat die werdende Mutter in den ambulanten Einrichtungen eine Hebamme ganz für sich, die sie schon Wochen vorher kennt. Julia Niemann von der Geburtshilfepraxis Armonies: „Die Frauen sollen ein so intimes Erlebnis nicht mit jemandem teilen, der zufällig gerade Dienst hat.“
Aus medizinischer Sicht können alle Frauen ambulant gebären, die keine Mehrlinge bekommen und bei denen keine schwerwiegenden Komplikationen auftreten. Selbst so genannte Risikoschwangerschaften (etwa bei höherem Alter der Frau) stellen keinen Hinderungsgrund dar. Kommt es doch zu Schwierigkeiten, wird die Geburt in eine Klinik verlegt.
In den fünf Berliner Geburtshäusern kommen jedes Jahr tausend Kinder zur Welt. Entstanden ist die Idee in den Achtzigerjahren. 1982 wurde der Verein „Geburtshaus für eine selbstbestimmte Geburt“ gegründet, aus dem 1986 in Charlottenburg das erste Geburtshaus der Republik hervorging, bundesweit gibt es inzwischen fünfzig. Lucia Gacinski vom Charlottenburger Haus erinnert sich: „Die damalige Geburtshilfe war sehr technisiert und wenig familienfreundlich.“ Routinemäßig wurden bestimmte Medikamente verabreicht und der Tag der Geburt festgelegt. Und aus eigener Erfahrung weiß Gacinski: „Noch 1980 gab es in Berlin konfessionelle Häuser, die nicht wollten, dass nichtverheiratete Paare die Geburt zusammen erleben.“
Im vergangenen Jahr wurde die Vernetzungsstelle der Berliner Geburtshäuser gegründet, um die unabhängigen Häuser zu koordinieren und Maßnahmen der Qualitätssicherung zu treffen. Außerdem will die Stelle mit den Krankenkassen einen Vertrag aushandeln, um die Geburtshäuser in die Regelversicherung zu überführen. Zwar übernehmen die Kassen problemlos die Hebammenkosten, aber nicht die Betriebskosten der Geburtshäuser. Bislang müssen Frauen die dafür fälligen 600 Mark selbst auslegen und bekommen von den Krankenkassen meist um die 300 rückerstattet. „Solange es hier keine Rechtssicherheit gibt, haben Frauen, gerade wenn sie wenig Geld haben, keine wirkliche Wahlfreiheit“, erklärt Gacinski.
Der Trend weg von der unterkühlten Kreißsaalgeburt hat auch bei den Krankenhäusern selbst zu einem Umdenken geführt. Viele Kliniken streichen ihre Kreißsäle in warmen Farben und richten sie mit viel Holz neu ein. Auch hockende, stehende und Wassergeburten werden vielerorts ermöglicht. In der Evangelischen Waldklinik (EWK) etwa werden auch ambulante Geburten betreut, und die Mütter kennen die Hebammen bereits aus Vorbereitungskursen. EWK-Referatsleiterin Annemargret Hein plant bereits, in einem leerstehenden Nebengebäude ein Geburtshaus auf dem Krankenhausgelände einzurichten: „Dort hätte man zur Sicherheit noch die Klinik im Hintergrund.“
Susanne Becker jedenfalls machte von den Freiheiten, die das Geburtshaus ihr einräumte, ausgiebig Gebrauch. Als ihre Wehen einsetzten, kam die Hebamme eigentlich zu ihr, um sie abzuholen. Doch dann entschied Becker sich um: „Ich merkte, wie wenig Lust ich hatte, mein Nest, meine eigenen vier Wände noch zu verlassen.“ Da die Hebamme einverstanden war, wurde aus der geplanten Wassergeburt nichts: Ihre Tochter kam in der eigenen Wohnung zur Welt. Die dunkelblaue Wanne hat Becker aber nicht vergessen – vielleicht kommt die beim nächsten Baby noch zum Einsatz.
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