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Berufsausbildung im Aufwärtstrend

■ Ein Drittel der Abiturienten, vier Prozent mehr als 1998, entscheidet sich für eine Berufsausbildung. Out: Studium und Berufsausbildung nacheinander. Das dauert zu lange

Die „human resources“ des Bildungsstandortes Deutschland expandieren, so scheint es, in alle Richtungen: Es sprießt die Zahl der (Fach-)AbiturientInnen (plus 4.200 auf 327.600), folglich gedeihen die Erstsemester an den Universitäten und Fachhochschulen (plus 3.982 auf 229.939).

Überproportional wächst die Zahl derer, die sich nach der Schule anders entscheiden: für eine Ausbildung.

Rund ein Drittel der AbiturientInnen wählte im vergangenen Jahr diesen Weg, 100.200 und damit 4,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Jeder sechste neue Lehrling hatte somit die Hochschul- oder Fachhochschulreife in der Tasche. Im kaufmännischen Bereich war es sogar jeder vierte. Unter angehenden Luftverkehrs- oder Medienkaufleuten stellten sie gar achtzig bis neunzig Prozent.

„Mit der Qualifikation der Bewerber steigen die Standards für die Ausbildung“, so Jörg Engelmann, Referent für Aus- und Weiterbildung beim Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) in Bonn. „Ein positiver Trend, gerade für die technischen Berufe.“ Dass durch den Abiturientenstrom andere Bewerber verdrängt würden, halten Wissenschaftler für „reines Klischee“, habe doch etwa die Zahl der Hauptschulabschlüsse proportional abgenommen. Seit 1960 ist sie um rund dreißig Prozent zurückgegangen: „Das ist eine ungeheure Verschiebung in der Schülerpopulation hin zum Abitur“, sagt Karl Lewin vom Hochschul-Informations-System (HIS) in Hannover. Diese äußere sich bei den Abiturienten in steigenden Studenten- und Auszubildendenzahlen.

Für welchen Weg sich die Schulabgänger entscheiden, hängt nicht nur von ihren eigenen Interessen ab: „Der Druck, auf den Arbeitsmarkt reagieren zu müssen, ist groß“, so Lewin, „und bei der Entscheidung für ein Studium muss man weit vorausdenken.“ Doppelqualifikationen seien daher schon deshalb im Abwärtstrend, weil sie so lange dauern, so Lewin. Nach einer HIS-Studie wählen diejenigen Schulabgänger, die sich „berufliche Sicherheit“ erhoffen, deshalb zunächst eine Berufsausbildung. „Karriereorientierte“ Abiturienten dagegen entscheiden sich für ein Studium, zumeist Wirtschaft oder Jura. Im Wintersemester 1997/98 waren Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften die Favoriten der Studienanfänger. Mehr als ein Drittel von ihnen, rund 80.000, entschied sich für eines dieser Fächer und setzte damit den leicht wachsenden Trend fort: BWL und Jura sind bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebt. Das zeigt die Favoritenliste der Statistiker. Bei den Frauen komplettierten Germanistik und Pädagogik das Spitzenfeld, bei den Männern folgten Maschinenbau und Elektrotechnik.

Die in der Diskussion um eine Reform des Studienabschlusses angegangene Differenzierung in Bachelor- und Master-Abschlüsse ist bei StudentInnen gefragt. Das ergab eine weitere HIS-Befragung. Vor allem in den Magister-Studiengängen würden demnach rund 200.000 Studierende ihr Studium gerne mit einem Bachelor-Titel abschließen.

„Bis jetzt wurde es jedoch versäumt, die Studierenden über die Möglichkeiten ausreichend zu informieren“, so HIS-Mitarbeiter Lewin, der gezielte Informationskampagnen für Schüler und Studierende fordert. Bleibt also vorerst die Qual der Wahl.

Für die männlichen Kandidaten, die sich partout nicht zwischen Ausbildung und Studium entscheiden können, gibt es anderswo immer noch Plätze: Wie schon 1998 stellen Abiturienten rund zwei Drittel der in diesem Jahr eingezogenen 50.000 Bundeswehrrekruten. Die „Bevorzugung“ der Abiturienten beruht auf einer Absprache mit der Kultusministerkonferenz und ist, wie Birgit Loga, Sprecherin der Hardthöhe, sagt, „keine Reaktion auf den Arbeitsmarkt, sondern kommt der weiteren Lebensplanung der jungen Männer entgegen“.

Christoph Rasch

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