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Steuervorteil für Speichenwechsel

Fahrradreparaturen, Fönfrisuren: In fünf Dienstleistungsbranchen halbiert Europa die Mehrwertsteuer. Mehr Nachfrage soll mehr Stellen bringen  ■   Von Katharina Koufen

Berlin (taz/dpa) – Neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor – das wollen die Finanzminister der Europäischen Union mit der teilweisen Absenkung der Mehrwertsteuer erreichen. Gegen den Widerspruch von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) nahm die Konferenz am Wochenende im finnischen Turku einen französischen Vorschlag an.

Der Beschluss betrifft fünf Dienstleistungsbranchen aus dem „Niedriglohnbereich“: Fahrrad-, Schuh- und Wäschereparaturen, Wohnungsrenovierungen, häusliche Pflege, Putzen und Haareschneiden. Dort blüht die Schwarzarbeit – alle fünf Bereiche bieten beliebte Feierabend- und Wochenendbeschäftigung, die nicht selten gegen Cash auf die Hand und damit am Finanzamt vorbei erledigt wird.

Der neuen Regelung zufolge können nun einzelne Länder in bis zu drei der fünf Bereichen die Mehrwertsteuer probeweise über zwei Jahre halbieren. Was auf den ersten Blick wie ein Steuerausfall für die Regierungen aussieht, könnte de facto zur Mehreinnahme werden: dann nämlich, wenn wegen der niedrigeren Preise wieder mehr Kunden bereit sind, sich die Haare beim Frisör und nicht bei der Freundin schneiden zu lassen und die Wohnungsrenovierung ganz legal einem Maler in die Hand geben, anstatt den Bekanntenkreis oder die Studentenjobvermittlung zu bemühen. Damit würden in diesen typischen „Jobber“-Branchen Arbeitsplätze mit Sozialversicherungspflicht entstehen.

Zur Zeit kassiert der deutsche Staat 16 Prozent Mehrwertsteuer für jeden Umsatz aus erbrachten Dienstleistungen und aus verkauften Gütern. Innerhalb der EU klaffen die Sätze allerdings auseinander: So beanspruchen der schwedische und der dänische Fiskus 25 Prozent, der luxemburgische hingegen nur 15 Prozent für sich.

Die Mehrwertsteuer tragen die Endverbraucher. Wird sie erhöht, schlägt sich das in den Preisen nieder. Deshalb ist eine Senkung der Mehrwertsteuer ein Mittel, mit dem bestimmte Güter oder Dienstleistungen billiger gemacht werden können. Eine Erhöhung bringt dem Staat andererseits viel Geld, denn neben der Lohnsteuer ist die Mehrwertsteuer seine lukrativste Einnahmequelle.

Keine Einigung erzielten die Finanzminster hingegen bei der Besteuerung von Kapitalerträgen. Dabei soll schon seit zwei Jahren ein EU-weites Steuerpaket geschnürt werden, das den unfairen Steuerwettbewerb innerhalb der Union beendet und der Kapitalflucht damit einen Riegel vorschiebt. Zur Debatte stehen zwei Vorschläge: Die einzelnen Mitgliedstaaten sollen auf Kapitalerträge selbst eine Steuer von 20 Prozent erheben oder die Kapitalerträge von EU-Ausländern an deren heimische Finanzämter melden.

Die Staats- und Regierungschef der Union hatten die Finanzminister im Vorfeld des Treffens aufgefordert, bis zum EU-Gipfel im Dezember in Helsinki abstimmungsreife Lösungsvorschläge vorzulegen. Das scheitert nun an den Sonderwünschen von Großbritannien und Luxemburg. Die Briten beharren auf ihrer Forderung, bei den internationalen Anleihen nur die Anlagen bis 40.000 Euro – rund 80.000 Mark – zu besteuern. Begründung: Die großen Anleger würden sonst ihr Kapital abziehen. Auch Luxemburg fürchtet um seine Wettbewerbsfähigkeit als internationaler Finanzstandort.

Eine Unterscheidung zwischen steuerpflichtigen Kleinanlegern und steuerfreien Großinvestoren lehnt der luxemburgische Haushaltsminister Luc Frieden zwar ab, tritt jedoch für die allgemeine Befreiung der Investmentfonds ein. SPD-Bundesfinanzminster Hans Eichel bezeichnete den Vorschlag der Briten als unsozial.

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