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Akkurat konstruierte Unappetitlichkeiten

Véronique Olmi schreibt ordentliche Geschichten mit komplexen Figuren. In Frankreich auf allen renommierten Bühnen präsent, ist mit der Essener Uraufführung „Die Umarmung des Skorpions“ erstmals eines ihrer Dramen in Deutschland zu sehen  ■   Von Morten Kantsteiner

Mit vielen zeitgenössischen Dramatikern habe er so seine Probleme, hat der Regisseur Jacques Lassalle im vergangenen Jahr in Avignon gesagt. Sie kümmerten sich nicht genug um Geschichten. Sie vernachlässigten Figuren, Dialoge und Handlung. Aber Lassalle, der zu den festen Größen des französischen Theaters gehört, hatte die rettende Ausnahme schon gefunden: Véronique Olmi. Die Uraufführung ihres Stücks „Chaos debout“ war 1998 sein Beitrag zum Festival d'Avignon. Jetzt ist die Autorin auch in Deutschland angekommen: „Die Umarmung des Skorpions“, eins ihrer jüngsten Stücke, wurde am Freitag gleichzeitig in Trier und in Essen uraufgeführt.

Véronique Olmi liefert in der Tat, was Jacques Lassale bei anderen so bitterlich vermisst. Sie erzählt ordentliche Geschichten. Von Marina Zwetajewa zum Beispiel: In „Le Passage“ schildert Véronique Olmi die katastrophale Heimkehr der russischen Schriftstellerin aus dem Pariser Exil. „Les Nuits sans lune“ berichtet Begebenheiten aus dem Gefängnisalltag. „Chaos debout“ handelt von der Beziehung einer jungen Russin zu ihrem Mann, der vollkommen verändert aus dem Tschetschenienkrieg heimkehrt.

In all diesen Stücken kümmert sich Véronique Olmi geradezu liebevoll um ihre Figuren. Sie konzipiert sie als komplexe Charaktere, mit Macken und sympathischen Seiten – ganz wie im echten Leben. Allerdings reden sie meistens, wie man es von ihnen erwartet. Der Knacki mit dem südländischen Namen plappert charmant, dreckig und in treibendem Rhythmus, die junge Russin macht, wenn sie sich nicht gerade streitet, schwermütige Pausen, und der Veteran redet am liebsten gar nicht. Nur manchmal heben die Figuren ab – und an zu einer poetischen Reflexion ihrer Lage. Das sind die Momente, in denen es wirklich spannend wird.

Die Aufführung von „Chaos debout“ in Avignon hat der jungen französischen Autorin große Aufmerksamkeit verschafft. Das mag damit zu tun haben, dass es ihr gelungen ist, mit Anouk Grinberg, die unter anderem mit Bertrand Blier gefilmt hat, einen Star von der Hauptrolle zu überzeugen. Aber auch abgesehen von dieser Produktion ist Véronique Olmi in Frankreich ziemlich präsent, da eine beachtliche Reihe von Stücken, die sie seit 1990 in schneller Folge veröffentlicht hat, in Paris und Lausanne an prominenten Bühnen inszeniert wurden.

Dass „Die Umarmung des Skorpions“ zuerst in Deutschland gespielt wird, liegt am Thema – meint jedenfalls die Autorin. Denn das Stück erzählt von einer braven französischen Familie und ihren Sympathien für den Rassismus Le Pens. Während man in Frankreich die Front National und ihre Wurzeln ohne weiteres im Kino, in Büchern oder Zeitungen analysieren könne, sei das im Theater nicht erwünscht, sagt Véronique Olmi. Schon gar nicht, wenn es dabei der französischen Familie an den Kragen gehe. Mittlerweile gäbe es zwar die Aussicht, dass „Die Umarmung des Skorpions“ in der nächsten Spielzeit auch in Paris inszeniert wird, aber in Deutschland seien einfach die Widerstände geringer gewesen.

Olmi geht das unappetitliche Thema selbstredend in Form einer akkurat konstruierten Geschichte an. Am Anfang sieht alles harmlos aus. Claude und Paul, ein Rentnerehepaar, warten auf den Besuch ihrer Tochter Hélène aus Paris. Claude verbreitet mit Tiraden über widerspenstige Tischdecken und ihren ungeschickten Ehemann eine Atmosphäre vertrauter Spießigkeit. Das Eintreffen der spät pubertierenden Tochter, die gerade in einer Ehekrise steckt, steigert das Konfliktpotenzial. Und dann steht plötzlich Jules im Zimmer, ein afrikanischer Flüchtling, der sich bei Arbeiten am Nachbarhaus verletzt hat.

Er bringt zum Ausbruch, was vorher nur in Anspielungen Platz hatte. Paul hält eine patriotische Rede, während Mutter wie Tochter begierig den schwarzen Mann betatschen. Claude pflanzt sich schließlich auf den verletzten Fuß des Arbeiters und lässt erbarmungslos ihre Frustrationen ab. Im Finale outet sie sich endgültig als Parteigängerin Le Pens und schreibt mit ihrem Mann als willigem Helfer einen Brief, der Jules als gefährlichen Schwarzarbeiter denunziert.

Aber Claude ist nicht nur eine rassistische Hexe, sondern auch eine sorgende Mutter. Ihr Mann ist mehr lasch als böse. Die Tochter findet das Spießertum ihrer Eltern abscheulich, leidet aber unter einem Mangel an Rückgrat sowie nostalgischen Vorstellungen von „Negerkunst“. Véronique Olmi bemüht sich auch hier, die Dinge nicht zu einfach zu machen. Leider gehen ihr trotzdem ein paar Klischees durch. Zum einen ist Jules ein Bild von einem Opfer – ein bisschen naiv, aber grundgut, Vater und gefolterter Widerstandskämpfer. Sogar einen Onkel, der in Verdun für die Ehre Frankreichs gefallen ist, kann er vorweisen.

Zum anderen hat der Hass der Mutter einen allzu simplen Grund: die leidige Libido. Von ihrem Mann enttäuscht, schwärmt Claude von Le Pens Virilität, weil, nach dessen Reden zu urteilen, „muss sein Penis ständig erigiert sein“. Wenn sie Jules fertig macht, liegt das auch daran, dass der partout nichts von ihr will. Ähnlich triebgesteuert spricht schon die Heldin aus „Chaos debout“, die davon träumt, „dass man mich fickt wie Anna Karenina“.

Die Inszenierung des Essener Schauspiels erzählt die wohl gebaute Geschichte geradewegs. Miriam Möller (Bühnenbild) und Anja Müller (Kostüme) brachten die passenden Hosenträger und Damasttücher an Wanst und Tisch an. Karin Schröder als Claude doziert mit angemessener Penetranz. Carsten Otto (Paul) bollert. Und Isis Krüger (Hélène) bohrt sich renitent die Zunge in die Backe. Damit die dramatischen Monente nicht unbemerkt bleiben, lässt Regisseur Nikolaus Büchel die Darsteller sich ziemlich viel herumwälzen auf der kleinen Studiobühne. Einen vorsichtigen Versuch, der Erzählung eine Ebene hinzuzufügen, hat er allerdings auch gemacht: Über den Ecken der Bühne hängen Monitore, die bräunliche Stills von der Handlung zeigten. Das Familienalbum der missglückten Mahlzeit. Aber die Geschichte hat sich nicht weiter daran gestört.

Véronique Olmi hat in einem Interview erzählt, sie habe „Die Umarmung des Skorpions“ erst als ein abstrakteres Stück angefangen. Doch dann habe sie den Entwurf in den Kamin geworfen. Schade. Es wäre schön, doch einmal zu erfahren, wie es jenseits der Geschichte aussieht.

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