: Alltägliches aus dem Geheimlabor
Geranienblätter auf Papptüten, Plastikfolien mit Rosenköpfen und Schmuck im Reagenzglas: Der Fischladen in der Pfarrstraße zeigt Arbeiten der Berliner Künstlerinnen Julika Müller und Birgit Hünerbein ■ Von Tanja Dückers
In der abgelegenen Pfarrstraße sind zur Zeit mehr Leute als sonst unterwegs. Man lümmelt sich auf Bordsteinkanten in der Sonne, steht in Eingängen von No-Name-Galerien oder schlürft einen Kaffee in der nahe gelegenen „Wandel Bar“. Lebensgefühl in Lichtenberg, der Kiez aus Friedrichshain schwappt in die Bulldoggen- und Geranienbastion über. Das ist zur Zeit der Initiative „Victoria Sommer“ zu verdanken, einer Veranstaltung, die in fünf Straßen rund um die Pfarrstraße für zwei Wochen Ausstellungen (vierzehn!), Konzerte, Theater, Puppenspiel, ein Schülerradio und Lesungen organisiert hat.
Darunter fällt besonders der Fischladen auf, der zu einer Kurzzeitgalerie in der Pfarrstraße 133 mit den Arbeiten von Julika Müller und Birgit Hünerbein umgewandelt wurde. Hier vermischt sich der Charme nachbarschaftlicher Kleinkunst mit professionellem Können.
Birgit Hünerbein hat im hinteren Raum des Fischladens ein sinnliches, florales Environment geschaffen. Die Künstlerin, die bekennt „Ich mag Geranien!“, hat in der Raummitte eine Tischplatte aus altem Zigarettenpapier und Geranienblättern gepresst, das glänzende Zigarettenpapier hat sie ein Jahr lang von der Straße gesammelt. An den Wänden des ehemaligen Obstladens, der jedoch vor der Wende ein Fischladen war, hängen mit Geranienblättern beklebte Papptüten, auf denen der instruktive Spruch „Eßt Obst – es ist gesund“ noch zu lesen ist.
Aber es gibt nicht nur Geranien, sondern auch Rosen. Einmal metergroß auf Plastikfolie gemalt, und – still in einer Ecke, aus der auch echtes Rosenöl verströmt – ein paar echte. „Ich wollte nur Materialien benutzen, mit denen die Leute in diesem Kiez auch etwas anfangen können“, erklärt Birgit Hünerbein, „und Rosen haben nunmal Symbolwert für jedermann.“Eigentlich hat sie Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie studiert, doch mit der Zeit habe sie sich immer mehr „vom reinen Wissen zu tätigen Händen“ hin entwickelt. Seitdem entwirft sie Kleidung und Schmuck, experimentiert mit Düften, malt und kreiert alle Sinne betörende Rauminstallationen.
Ihre Ausstellungsobjekte im Fischladen sind nicht an jeden beliebigen Ort transferierbar, das Ambiente ist speziell für diesen Raum in dieser Gegend geschaffen. Begeistert hebt eine ältere Frau eine der riesigen von der Decke hängenden Plastikfolien mit Rosenköpfen an: „Das wär ja ein toller Duschvorhang!“ Ein anderer Besucher, der eher zufällig hereingekommen ist, murmelt in seinen Schnauzbart: „Ick weeß ja nich, wat det soll, sieht aba jut aus.“
Wahrlich gut aus sehen auch die Schmuckobjekte der gebürtigen Hamburgerin Julika Müller im vorderen Teil des Fischladens. Ringe wie Vulkanausfallprodukt stehen in Wassergläsern, Ketten liegen wie aufgerollte unheilvolle Schlangen mit Luftblasen bedeckt im Nass, ein kniehoher Eisklotz schmilzt gemächlich zwischen den Füßen der Besucher vor sich hin. Selten ist Schmuck in so artistischer Weise präsentiert worden. Julika Müller hat viel experimentiert: Für eine tschechoslowakische Theatertruppe baute sie Kostüme aus Lkw-Reifen, entwarf Schuhe, die wie überdimensionierte Zahnbürstenköpfe aussehen. Ihr Schmuck ist, wie sie freimütig einwirft, „manchmal unbequem“. Die gelernte Goldschmiedin sieht Schmuck eben nicht als „nettes Beiwerk“, als Deko-Kunst, die sich einer anderen dominanten Ästhetik anzupassen hat, sondern als Main-Act.
Was als Schmuck erarbeitet wird, findet sie auf der Straße, in ihrer norddeutschen Heimat am Strand, im Meer. Das kann je nach Lage ein verrosteter Nagel, rundgeschliffenes Glas, ein Eisenrohr oder ein Fahrradreifen sein.
„Edelsteine finde ich nicht auf dem Gehweg“, erklärt die eigensinnige Künstlerin und schenkt einen weiteren Tee ein. Sie lebt und arbeitet in einer alten Fabrik an der Greifswalder Straße, einen Turm und eine zwei Stockwerke umfassende Werkstatt nennt sie ihr Eigen.
In diesem „Geheimlabor“, zu dem man nur durch einen winzigen Trampelpfad durch die Büsche Zugang hat, schafft sie ihre seltsamen Objekte. Zum Beispiel die Kette mit dem Kürbis-„Anhänger“, die die Besucher jetzt neugierig bestaunen, während das Eis im Pfarrstraßenkiez langsam schmilzt.
Birgit Hünerbein und Julika Müller: Fischladen, Pfarrstraße 133, Lichtenberg, bis 24. September „Offene Werkstatt“, Schmuck von Julika Müller, Greifswalder Straße 23, Telefon 42 85 83 83 (jederzeit)
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