piwik no script img

Ein tiefes Wasser

Von den Geheimnissen der Seele: Willy Decker inszeniert an der Staatsoper Pelléas et Mélisande von Claude Debussy  ■ Von Stefan Siegert

Wenn am kommenden Sonntag Claude Debussys einzige Oper Pelléas et Mélisande Premiere an der Hamburgischen Staatsoper hat, wird ein am Rand der Erschöpfung stehender Generalmusikdirektor im Orchestergraben stehen. Denn Ingo Metzmacher, der das Dirigat für die Salome-Wiederaufnahme im Oktober bereits an Dietfried Bernet abgegeben hat, arbeitet für zwei, seit Intendant Albin Hänseroth sich nach Köln absetzte und in Hamburg neben viel Verdruss ein Ex- zurückließ vor all dem, was er einmal war.

An die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert denn auch die literarische Vorlage des Pelléas, Maurice Maeterlincks Theaterstück gleichen Namens. Es verstand sich als Reaktion auf den harten Eins-zu-eins-Naturalismus des Theaters der damaligen Moderne. Hätte es den Terminus Postmoderne vor hundert Jahren bereits gegeben, Maeterlinck wäre ihr Held gewesen. Sein Pelléas war für relativ kurze Zeit das Ereignis des französischen und europäischen Theaters. Der „Femme fatale“ Émile Zolas und Gerhart Hauptmanns folgt im Pelléas die „Femme fragile“ Maeterlincks. Mélisande ist eine Kindfrau, die friert und Angst hat, sie singe „wie ein Vogel, der nicht von hier ist“. Die Partie sollte ursprünglich von der französischen Sopranistin Veronique Gens gesungen werden. Die allerdings – das Haus an der Dammtorstraße ist derzeit wirklich gebeutelt vom Stirb-und-werde der Zeitläufte – ist schwanger und wird vom Hamburger Ensemblemitglied Gabriele Rossmanith ersetzt.

Pelléas et Mélisande ist infolge magerer äußerer Handlung kaum nacherzählbar. Maeterlinck interessierten Äußerlichkeiten nur als Sinnbilder seelischer Vorgänge. Sein Theater beginnt dort, wo das anderer Autoren aufhört. In der Stille, die dem Drama des äußeren Lebens folgt, findet er, was ihm wichtig ist: „Das geheimnisvolle Lied der Unendlichkeit, das Schweigen, welches Götter und Seelen bedroht, das Schicksal oder Verhängnis, welches man innerlich erschaut, ohne sagen zu können, an welchen Anzeichen man es erkennt.“ Fin de siècle also, Décadence und Sterbensmüdigkeit – eine Zeitstimmung, die in ihrer rastlosen Agonie ans gegenwärtige Digital-Biedermeier erinnert. Harry Kupfer hat das Stück 1981 denn auch inszenatorisch in die Nähe von Thomas Manns Zauberberg gerückt.

Regisseur Willy Decker und Bühnenbildner Wolfgang Gussmann haben sich in Hamburg dem Vernehmen nach für die „Metaphorik des Wassers“ entschieden, das bekanntlich ab einer gewissen Stille tief ist. Im Mittelpunkt der Bühne und des Geschehens wird ein Brunnen stehen, dessen Drumherum bis in die Kostüme, entsprechend der Melancholie von Handlung und Musik, an die Bilder des Debussy-Zeitgenossen Magritte erinnern wird.

Maeterlinck und sein Theater wären freilich schon vor dem Ers-ten Weltkrieg in Vergessenheit geraten, hätte sich Claude Debussy seiner nicht angenommen. Seine Musik ist über den Wechsel der Modernen hinweg Wesen und Wunder dieser Oper geblieben und hat sie, wenige Jahre nach der missglückten Uraufführung am 30. April 1902, zum bis heute andauernden Welterfolg gemacht. Auf der Suche nach einer musikalischen Alternative zum handlungsstrotzenden, melodienprallen Musiktheater Richard Wagners kam Debussy die Handlungsarmut der Vorlage Maeterlincks gerade recht: Seine Musik macht die im Text verborgenen Seelengeheimnisse hörbar. Ohne Melodien. Ganz auf den allerdings neuartigen und radikalen Wechsel der Klänge und Farben des Orchesters abgestellt, eine Art „auskomponierte Lichtregie“ (Dietmar Holland).

Dem Impressionismus der zu seiner Zeit modernen Bilder gleicht Debussys Musik entgegen anderslautenden Missverständnissen trotzdem nicht. Vielleicht noch im wechselvollen Reichtum der Farben. Statt auf impressionistische Spontaneität und Diffusion allerdings setzt Debussy auf kühle Konstruktion und Klarheit.

Premiere: So, 26. September, Staatsoper

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen