■ Ein Jahr Rot-Grün (1): In der Umweltpolitik hat sich wenig getan. Die SPD ist uninteressiert, den Grünen fehlen Geschick und Einfluss: Vieles genauso, kaum etwas besser
Ein Jahr rot-grüne Umweltpolitik. Das ist, zuallererst, ein Missverständnis. Es gibt keine rot-grüne Umweltpolitik. Ökologie wird von den Grünen ganz allein vertreten. Für Gerhard Schröder ist Umweltpolitik ausschließlich ein Profilierungsfeld gegen die Grünen. Sozialdemokratische Umweltpolitiker agieren derweil unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.
Nirgendwo sind die Unterschiede zwischen den Koalitionsparteien so deutlich wie in der Umweltpolitik. Nirgendwo lässt der Koch Schröder die Grünen so gerne kellnern. Wer anfangs darauf gesetzt hatte, dass die beiden Norddeutschen Jürgen Trittin und Gerhard Schröder sich ja aus niedersächsischen Regierungsjahren kennen, wer auf eine Inszenierung „good guy – bad guy“ für eine rot-grüne Politik gesetzt hatte, der wurde bald enttäuscht.
Schon kurz vor Weihnachten musste Trittin wegen der Auflösung seiner Atomkommissionen den ersten Zornausbruch des Kanzlers über sich ergehen lassen. Kurz darauf sackte der die Atomnovelle ein. Spätestens seit der Altautoverordnung weiß Trittin, wo das Tablett hängt. Da, Ende Juni, brachte er im Auftrag des Kanzlers gehorsam seine EU-Amtskollegen mit Tagesordnungstricks auf die Palme und die Richtlinie zu Fall.
Egal, ob es um Atomausstieg geht oder um Ökosteuer, ob um Sommersmog, Altautos oder Umweltgesetzbuch, jedes Umweltthema führt augenblicklich zu einem Gerangel zwischen SPD und Grünen. So war es nach dem Hickhack um die Ökosteuer am Ende schwer, das Erreichte noch als einen Erfolg darzustellen. „Kein großer Wurf“ mussten selbst die Grünen einräumen. In den Verhandlungen über die künftigen Erhöhungsschritte der Ökosteuer verlangte Schröder gar per „Machtwort“, nur noch halb so viel Ökosteuer einzunehmen wie im Koalitionsvertrag vereinbart – und blieb selbst hinter dem Vorschlag des Finanzministeriums zurück. Schröder erklärte dazu dem überraschten Kabinett, mehr Ökosteuern wären seiner Schwiegermutter nicht zu vermitteln.
Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung: Wer keine Werbung macht für sein Projekt, sondern es zerredet, muss sich hinterher nicht wundern, dass es keinem gefällt. Trittin – auf Konfrontation geeicht, aber ohne Macht – fehlten von Anfang an die Mittel, sich gegen dieses Sperrfeuer zur Wehr zu setzen. Einmal öffentlich vorgeführt, gelang es ihm nicht mehr, seine Initiativen im Stillen vorzubereiten. Kaum hatte er zum Beispiel einen Vorentwurf zur Sommersmog-Verordnung fertig, um vorab einen Konsens herzustellen, da schießt schon der Verkehrsminister kategorisch dagegen: Mit ihm gebe es keine Tempolimits, auch nicht bei Ozonsmog.
So war in der Umweltpolitik ein Vorgehen nicht möglich, wie es der linken SPD-Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul gelang. Sie agierte im Hintergrund und erntete mit ihren Maßnahmen sogar das Lob von Umwelt- und Entwicklungsverbänden. Davon kann Trittin nur träumen. Und weil es keine großen Erfolge gibt, verblassen auch die kleinen Fortschritte wie das 100.000-Dächer-Solarprogramm.
Nun ist die magere Umweltpolitik nicht nur ein Problem der Grünen – sie fällt auch auf den Kanzler zurück. Denn es ist auch nach einem Jahr völlig unklar, was eigentlich das Besondere seiner Regierung sein soll. Derzeit mutet der Streit um das Sparpaket an, als hätten Regierung und Opposition nicht nur die Rollen, sondern auch ihre Ansichten getauscht.
Die Entpolitisierung im Wahlkampf fällt Schröder nun selbst auf die Füße, weil er es damit der CDU so leicht macht. Er wolle „nicht alles anders, aber vieles besser machen“, hatte er im Wahlkampf versprochen. Ein absurdes Versprechen. Nichts ist nach 16 Jahren Zwangspause so schwer wie ein besseres Politikmanagement. Nichts wäre dagegen leichter gewesen als ein Satz eigener politischer Duftmarken.
Die sozialpolitischen Reformen von 630-Mark-Gesetz und Scheinselbstständigkeit gingen nach hinten los. Man nahm die Kohlsche Rentenkürzung zurück – und musste die Renten für zwei Jahre vom Nettolohn abkoppeln. So steht die Regierung nach einem Jahr vor allem für Krieg und für Sparen. Vielleicht mag das eines Tages als historische Leistung gewertet werden – politischer Profit lässt sich nicht daraus ziehen.
Es ist der bislang größte Fehler der Regierung, dass sie es unterließ, so etwas wie ein rot-grünes Sparen zu erfinden. So überzeugte sie zwar die Medien und die konservative Öffentlichkeit, nicht aber ihre eigene Klientel. Die blieb prompt den Urnen fern. Ein betont sozial und ökologisch ausgerichtetes Sparen hätte diese Erosion abmildern können. Und wie schön hätte eine gut präsentierte Ökosteuer dazu gepasst.
Die Umweltpolitik krankt nicht an alten Rezepten, auch wenn das einige an Umweltthemen desinteressierte Grüne wie Fraktionschef Rezzo Schlauch gern so hinstellen. Auch ausgesprochen moderne Konzepte, wie die Ökosteuer oder das Umweltgesetzbuch, haben keine Chance. Letzteres markiert die jüngste Pleite Trittins. Das neue Umweltgesetz, bereits unter Helmut Kohl angeleiert, hätte die Genehmigungsverfahren drastisch vereinfacht – ohne die Standards zu verwässern. Bislang muss man für eine neue Fabrik Genehmigungen bei bis zu zehn Ämtern beantragen. Doch die SPD ließ Trittin selbst mit diesem Abbau von Bürokratie auflaufen.
Der Kanzler vernachlässigt nicht einfach nur den Umweltschutz: Er offenbart eine Ökophobie, die über politisches Kalkül weit hinaus geht. So sagte er im Februar eine Festrede zum 100. Geburtstag des Naturschutzbundes ab, immerhin der größte Umweltverband Deutschlands. Schröders Grund: Der Nabu hatte zuvor gegen das Natur zerstörende Ems-Sperrwerk demonstriert, sprich: Er hatte seinen Job gemacht. Aber dem Kanzler war das in seinem Revier zu viel. Die Nabu-Mitglieder konnten den Kanzler stattdessen später am Abend bei „Wetten, dass ...?“ bewundern.
Wie schon unter Kohl ist Umweltschutz eher ein Fremdkörper, gut abgelegt im Umweltministerium. Auch unter Rot-Grün gelang es nicht, Umwelt als Querschnittsanliegen zu formulieren, Umweltabteilungen in anderen Ministerien anzulegen – wie etwa in der EU-Kommission üblich. Ein Fehler der Grünen war es auch, keine SPD-Staatssekretäre ins Umweltministerium zu holen und umgekehrt auch keine Grünen in andere umweltrelevante Ressorts zu entsenden. Wie schön wäre es, wenn mal ein Sozialdemokrat ein Umweltprojekt vorstellte.
Stattdessen nähert sich die Regierung einen Showdown um das – nach grüner Lesart – ultimative Ökothema, das damit auch das ultimative Scheitern in sich birgt: der Atomausstieg. Hier ist das letzte Feld, wo es noch so was wie eine grüne Basis gibt. Hier sind mehr zu mobilisieren als gegen den Kosovo-Krieg. Und hier existiert noch ein Rest des altgrünen Habitus: Die Atomindustrie soll gedemütigt werden.
Jetzt erst recht, so schießt es besonders linken Grünen durch den Kopf, die, wie Parteisprecherin Antje Radcke, wenigstens beim Atomausstieg punkten wollen. Doch nirgendwo wird es so schwer wie hier.
Mit der Akzeptanz des entschädigungsfreien Ausstiegs und dem Konzept der im Konsens vereinbarten Restlaufzeiten haben sich die Grünen in eine Sackgasse manövriert, aus der sie kaum noch herauskommen. Ob die Atommeiler insgesamt „unter 30 Jahren“, wie einige grüne Realos inzwischen fordern, oder 35 Jahre laufen dürfen, wie der Wirtschaftsminister vorschlägt, macht keinen großen Unterschied: Einen erkennbaren Ausstiegsschritt würden wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr erleben. Höchstens ein Meiler würde in diesem Fall wirklich vom Netz gehen.
Einen nicht vermittelbaren Ausstiegsbeschluss, das muss aber auch Schröder klar sein, können die Grünen nicht aushalten. Der nächste Castor-Transport würde zu einer Zerreißprobe, gegen die die Kosovo-Parteitage ein Kinderspiel waren. Doch die Rhetorik der SPD lässt nichts Gutes ahnen.
So hat der Umgang mit Ökologie und den Grünen unter Schröder wieder zur Börnerschen Qualität der ersten rot-grünen Koalition in Hessen zurückgefunden – frei nach dem Motto „Schlag kaputt mit der Dachlatte, was du nicht verstehst“. Dass die rot-grüne Regierung wenig für die Umwelt tut, ist dabei noch nachvollziehbar. Warum der Kanzler aber nicht einmal versucht, das Feld symbolisch zu besetzen, bleibt völlig rätselhaft. Matthias Urbach
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