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Bremerhaven braucht einen Nordstaat

■ „Das Bundesland Bremen ist ein Anachronismus“ / Interview mit dem scheidenden grünen Fraktionsvorsitzenden der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung, Hans Christian Scherzer

In Bremerhaven wird am Sonntag gewählt. Die stärkste Partei wird die der Nicht-Wähler sein, die keinen Sinn in der Stimmabgabe sehen. Wie auch immer der Rest abstimmt – es wird eine große Koalition geben. Eine politische Alternative, die in der Lage wäre, die frustrierte Mehrheit zu mobilisieren, ist nicht entstanden. Grüne und AfB kämpfen im Windschatten von CDU und SPD um die fünf Prozent.

Einer, der ganz andere Vorstellungen hatte, ist langjährige grüne Fraktionsvorsitzende Hans-Christian Scherzer (47). Er ist von Beruf Geschäftsführer des DPWV in Bremerhaven und kandidiert nicht mehr für die Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven, weil er beruflich in Zukunft mehr als „EDV-Koordinartor“ beim DPWV in Bremen zu tun hat als in Bremerhaven. Wir fragten ihn nach seiner Perspektive für Bremerhaven.

taz: Die Hälfte der Bremerhavener haben jüngst bei einer Umfrage gesagt, sie wollten lieber zu Niedersachsen gehören als zum Bundesland Bremen. Hat Sie das überrascht?

Scherzer: Das war 55:45. Es hat mich überrascht, dass das so knapp war. Ich hätte ein deutlicheres Ergebnis erwartet.

Mehr für Niedersachsen?

Ja.

Gibt es bei den Grünen in Bremerhaven auch so eine Stimmung?

Jein. Ich persönlich habe immer versucht, dieses Thema bei den Grünen zu diskutieren, aber ich bin nicht auf viel Gegenliebe gestoßen. Ich habe immer eine Minderheiten-Meinung vertreten.

Welche?

Ich bin der Meinung, dass das Bundesland Bremen insgesamt ein Anachronismus ist in einem Europa der Regionen. Und dass das längst in einen Nordstaat überführt gehört. Anschluss an Niedersachsen macht keinen Sinn, Hamburg gehört genauso dazu. Man muss einen Nordstaat machen, der zum Beispiel sämtliche Häfen bündelt, damit die sich nicht mehr gegenseitig Konkurrenz machen. Im Moment haben wir fünf Küstenländer, einige haben Landeshäfen, einige haben kommunale Häfen, da gibt es keine Koordination.

Das wäre eine Chance, gegen Bayern mithalten zu können?

Zum Beispiel.

Denken denn die Bremerhavener, die gegen die kleinstaatliche Bremen-Lösung sind, so strategisch? Da gibt es doch mehr das Gefühl der zu kurz Gekommenen!

Das ist das Hauptressentiment, und das wird von Bremen aus auch gefördert. Es gibt den Spruch des Wirtschaftssenators Claus Grobecker: Bremen-Nord ist die Kolonie von Bremen und Bremerhaven die Strafkolonie. Das ist in Bremerhaven ein beliebtes Zitat. Es zeigt, wie Bremerhaven im Bewusstsein der Bremer vorhanden ist und wie die Bremerhavener sich fühlen.

Aber es gibt beachtliche finanzielle Vorteile für Bremerhaven.

Diese Rechnung hat mir noch niemand wirklich nachweisen können. Es wird nie gesgt, was Bremen uns wegnimmt. Die Häfen sind zum Teil Landeshäfen, daraus hat Bremerhaven keine direkten Einkünfte. Lehrer und Polizisten stehen in Bremerhaven im Haushalt, fast 400 Millionen Mark durchlaufende Kosten, die in vergleichbaren Kommunen fehlen. Wenn wir in einem Flächenland liegen würden, wären Langen, Schiffdorf, Spaden, Lockstedt längst eingemeindet, die Einkommensteuer derer, die dorthin pendeln, würde der Stadt zugute kommen. Bremerhaven hätte an die 200.000 Einwohner und würde ganz anders dastehen. Aber diese Rechnung macht niemand bis zum Ende auf.

Warum ...

Man muß sich nur einmal vorstellen, was an Geld gespart würde, wenn man die Staatskanzlei auf das normale Maß einer Kommune zurückstutzen würde. Welche Kommune von der Größe Bremerhavens schickt 20 Abgeordnete in den Landtag? Welche Stadt mit 400.000 Einwohnern hat 80 Landtagsabgeordnete? Hannover hat 15. Was da an Geld rausgeschmissen wird, das muss man alles dagegenrechnen.

Warum gibt es keine Bremerhavener Initiative, die sich den Nordstaat auf die Fahnen schreibt?

Gute Frage. Interessanterweise habe ich unter den jungen Leuten auch bei den Grünen festgestellt, dass die darüber überhaupt nicht reden wollen und sagen: Bremen ist doch ganz toll. Ob das etwas mit dem Großstadtflair zu tun, hat, an dem man partizipieren will?

Früher habe ich gesagt, ich nehme Wetten an, dass das Bundesland Bremen das Jahr 2005 nicht mehr erlebt, aber inzwischen bin ich da nicht so sicher. Die Landtagsabgeordneten, die in der Bürgerschaft sitzen, die werden sich nicht selber abschaffen. Die Ministerialbürokratie wird immer Rechtfertigungen finden für ihren Erhalt.

Fragen: K.W.

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