: Der alte Mann und das Techno
■ I'm a pretender, baby, I'm a drinker: Louie Austen boxt das Elektro-Rauhbein Mario Neugebauer in der Lounge des WMF
Im Innencover der neuen Platte des Wiener Technoproduzenten Mario Neugebauer mit Louie Austen, dem Frank Sinatra Wiens, ist ein hübsches Foto: Austen – ein älterer Herr – hebt die Kaffeetasse und schaut fidel in die Höhe, während Neugebauer seinen Kopf in die tätowierten Arme gelegt hat und schläft.
Will da wieder mal ein Produzent elektronischer Musik sein Gesicht nicht zeigen und versteckt sich, ist der Wiener Kaffee so gut, oder können 53-jährige Old-School-Crooner einfach Elektro-Jungspunde unter den Tisch trinken und dann auch noch so tun, als sei nichts gewesen?
Neugebauer und Austen kennen sich aus einer Wiener Boxhalle und haben eine Platte zusammen aufgenommen. Neugebauer bewegt sich im Umfeld von Cheap-Records, einem kleinen und feinen Wiener Elektronik-Label, und Austen wollte seit seinem sechsten Lebensjahr Sänger werden. Da hatte er einen Schlagersänger gesehen, mit all den tollen Frauen um ihn herum, und sich gedacht: So einer will ich auch werden.
Also ging er mit Anfang Zwanzig nach Amerika, versuchte dort sein Glück als Barsänger in der Rat-Pack-Nachfolge und kehrte schließlich mit einigen hundert amerikanischen Standards im Herzen und einer Stimme wie Frank Sinatra zurück.
Neugebauer eilt der Ruf voraus, ein ziemliches Raubein zu sein, daher wahrscheinlich auch die vielen Tattoos. Kurz – beide sind keine Kinder von Traurigkeit. So verstanden sie sich prima, und nach dem Boxen fragte Neugebauer Austen, ob er bereit wäre, über ein paar Tracks zu singen.
Tagaus, nachtein in der Bar des Mariott-Hotels
Eine gute Idee eigentlich, altmodischen Gesang und neumodische Elektronik zu verbinden und etwas ganz Anderes daraus zu zaubern. Eine gute Idee, von Neugebauer allerdings nicht so gut genutzt, wie man sich erhofft – wenn man etwa an Nicolette und ihre Anfang-Neunziger-Kombination von Schreibmaschinengeklapper-Breakbeats und Billie-Holiday-Gesang denkt: ein Maßstab, der angesichts Austens wunderbarer Stimme bestimmt nicht zu hoch gegriffen ist.
Doch Neugebauer baut Austens Stimme zu, mit allem, was die avancierte Experimental-Elektronik so zu bieten hat, und das ist eine ganze Menge. Auf jeden Fall zu viel für Louie Austens Stimme, die von der Übermacht des Sounds fast erdrückt wird. In einigen Stücken klappt es trotzdem, und „I'm a drinker / I'm a pretender“-Schwerenöter-Phrasen schmeicheln sich ihren Weg zwischen den Beats hervor. Doch meistens ist das zu ambitioniert. Austens Stimme braucht mehr Raum.
Wenn Louie Austen live auftritt, gelten allerdings andere Gesetze. Dann nimmt er sich den Raum – schließlich verdient dieser Mann sein Geld damit, tagaus, nachtein in der Bar des Wiener Marriot-Hotels die Gäste zu unterhalten. Und die Lounge des WMF mit ihrem postsozialistischen Charme ist für einen solchen Auftritt genau der geeignete Ort. Tobias Rapp
Heute ab 0 Uhr im WMF, Johannisstr. 20
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