■ Vorlauf: St.-Pauli-Wochen
„Ein Hoch auf St. Pauli“. So., 22.15 Uhr, Sat.1
Natürlich kann man sagen, dass hier die billigsten Klischees manifestiert werden, aber selbst diese Art von Kritik an Geschichten aus St. Pauli ist mittlerweile zum Klischee geworden.
Die fünfteilige Doku-Soap-Reihe „Ein Hoch auf St. Pauli“, laut Sender „eine Hommage an die Helden vom Kiez“, ist nur das Vorspiel einer ausdauernden Sat.1-Offensive: Ab Montag zeigt der Sender entschlackte Fassungen von „Der König von St. Pauli“ – als Appetizer für die 26-teilige Serie „Rote Meile“, für die wiederum die in den Bavaria-Studios aufgebaute, mehrere Millionen Mark teure Außenkulisse des Wedel-Films genutzt wurde. Zudem läuft im Kino „St. Pauli Nacht“ und demnächst „Absolute Giganten“, der zu einem großen Teil ebenfalls rund um die Reeperbahn spielt. Offensichtlich wollen Fernseh- und Kinopublikum immer noch wissen, wie es zugeht (oder zugehen könnte) im Alltag von Sexclub-Bediensteten und anderen Mitarbeitern der Menschenfleischbranche.
Doch was uns über die Swinger-Club-Besitzerin Evelyn, die Domina Babsi und andere Kiez-Figuren erzählt wird, entbehrt sogar nach den diffusen Kriterien der Doku-Soap jeglicher Dramaturgie. Wie fast immer bei Non-Fiction-Infotainment aus St. Pauli, werden nur arme Würstchen vorgeführt, die dann zu Paradiesvögeln, Originalen oder anderen Arten von Hampelmännern hochstilisiert werden. Hier trifft es zwei feminine Männekens, die von einer gemeinsamen Showkarriere träumen, ihre Brötchen derzeit aber vor allem mit Telefonsex verdienen.
Die Quote von „Ein Hoch auf St. Pauli“ wird wohl stimmen, denn die Zielgruppe dürfte in dieser vermeintlichen Doku-Soap selbst mitspielen – in Gestalt einer Reisegruppe aus Mönchengladbach, die sich im „Safari“-Club eine ficklastige Version von „Das Phantom der Oper“ anschaut. Das sind halt die Menschen, die St. Pauli so sehen wollen, wie Sat.1 es zeigt: die Kiez-Touristen aus den Mönchengladbachs der Republik. René Martens
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen