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Erster Hilfsfonds für Zwangsarbeiter

■ Bremen errichtet Hilfsfonds und lädt 19 Zwangsarbeiter im Herbst in die Hansestadt ein / Die Hälfte des Fonds sind Spenden

„Bremen ist für mich die Stadt meiner Leiden“, schrieb Sinaida Lobanowa an Hartmut Müller. Jetzt kommt die 69-Jährige aus der Ukraine zurück nach Bremen. Nach mehr als 50 Jahren an den Ort, an dem sie als Zwangsarbeiterin in der Küche bei Borgward gearbeitet hat.

Auf Initiative von Hartmut Müller, Leiter des Staatsarchivs und Vorsitzender des Vereins „Walerjan Wrobel“, kommt mit Sinaida Lobanowa zum ersten Mal eine Gruppe ehemaliger „Ostarbeiter“ nach Bremen. Eine Woche lang, vom 10. bis zum 17. Oktober, bleiben die 19 UkrainierInnen auf Einladung von Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) in Bremen, und werden hier auch das ehemalige Lager, den Bunker Valentin und Gedenkstätten besichtigen.

„Schwere Erinnerungen“ sind das für Sinaida Lobanowa, wenn sie nach Bremen kommt. Als 13-Jährige wurde sie damals nach Deutschland deportiert, und zur Arbeit bei Borgward gezwungen. So schwer es ihnen auch fällt, „viele möchten das noch einmal sehen“ haben ehemalige Zwangsarbeiter an Müller geschrieben. Um endlich „zur Ruhe zu kommen, das noch einmal aufzuarbeiten,“ erklärt Müller.

„Da gehört viel Mut dazu“, gestand Hilde Adolf gestern, als sie das Projekt vorstellte. 25.000 Mark haben fünf Firmen gespendet: die Stahlwerke, DaimlerChrysler, die Straßenbahn AG, swb (ehemals Stadtwerke) und Becks. Hilde Adolfs Ressort hat jetzt noch einmal 25.000 Mark dazugelegt. Aus dem Hilfsfonds sollen weitere Projekte finanziert werden.

Fast täglich flattern Briefe von ehemaligen Zwangsarbeitern auf Müllers Schreibtisch. Viele bitten um eine Bestätigung, hier gearbeitet zu haben, um diese Zeit für ihre Rente angerechnet zu bekommen. „Sie kriegen vielleicht zehn Mark dafür“, schätzt Müller, „aber bei einer Rente von 40 Mark ist das schon sehr viel.“ Manche bekämen dadurch auch Gelder aus einem Hilfsfonds, in den die Bundesregierung vor Jahren eingezahlt hat.

Auf dem Rückweg von der Schule oder vom Feld wurden damals die Kinder abgefangen und nach Deutschland deportiert. Viele waren erst 15 oder 16 Jahre alt, berichtet Müller. Rund 75.000 Zwangsarbeiter wurden insgesamt in Bremen eingesetzt, schätzt der Historiker. „Die waren präsent in der Stadt“: Fast jeder fünfte war Zwangsarbeiter. 200 kleine und größere Lager gab es über die Stadt verteilt, wo bis zu 1.000 Menschen hausten. Lohn haben die Ostarbeiter für ihre Zwangsarbeit nie gesehen, erklärt Müller. Formell stand ihnen der zwar zu, aber bei Ostarbeitern war er am geringsten und sei mit Unterkunft und Verpflegung verrechnet worden. Geschuftet haben sie nicht nur für die Großindustrie. „Auch die Stadt Bremen hat Zwangsarbeiter in städtischen Betrieben beschäftigt.“ Auch in der Landwirtschaft und im Handwerk wurden Zwangsarbeiter eingesetzt.

Immer wieder erreichen Müller auch Anfragen über Entschädigungen. „Aber wenn das Nachweisverfahren so differenziert ist wie bei VW“, erklärt Müller, „dann werden die ehemaligen Ostarbeiter in Bremen kaum Chancen haben“. Denn die Quellenlage über Zwangsarbeiter sei in der Hansestadt äußerst schwierig. „Es gibt kaum personenbezogene Nachweise“, keine Arbeitsunterlagen. Fast alles sei vernichtet worden oder verschwunden. Manchmal findet Müller Eintragungen in der Kartei des Einwohnermeldeamtes. Aber Ostarbeiter wurden als „Untermenschen“ auch hier nur selten eingetragen. Bei einem von zehn Briefen wird Müller hier fündig.

Zwangsarbeiter aus der Ukraine und Russland waren oft „doppelte Opfer“. Mit 1945 kam nicht die Befreiung, sondern der Vorwurf der Kollaboration. Vor dem KGB mussten sich viele dafür verantworten, mit Deutschen zusammengearbeitet zu haben - und für die Rüstungsindustrie, berichtet Müller. Maja Salimowa zum Beispiel wurde nach drei Jahren Zwangsarbeit 1945 freigelassen: „Aber das war kein Weg nach Hause auf die Krim, sondern in die Deportation nach Mittelasien“, schrieb sie nach Bremen. Auch Nikolaj Wischnewtzkij-Petrowisch wurde oft vom KGB verhört. „Mein ganzes Leben habe ich mich bemüht zu verheimlichen, dass ich in Deutschland als Zwangsarbeiter gewesen war“.

Die Reise der UkrainerInnen gründet vor allem auf Müllers Initiative. „Die Verhandlungen um Entschädigungszahlungen verliefen so schleppend“, erzählt er, „es musste einfach was passieren“. Müller wollte, dass was in Gang kommt, wollte von Bremen aus ein Zeichen setzten.

Telefonate hin und her. Die Grünen starteten anschließend eine Anfrage im Senat. Und die Idee für einen Hilfsfonds stieß auch zwischen den Fraktionen auf volle Rückendeckung. In zwei Wochen werden die ZwangsarbeiterInnen nun offiziell im Bremer Rathaus empfangen. pipe

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