■ Pampuchs Tagebuch: Das Geheimnis, das nur mein persönlicher Buchhändler kennt
Die Buchhandlung Lehmkuhl ist für Schwabinger so etwas wie eine Institution. Seit ich lesen kann, gibt es diesen hübschen Buchladen in der Leopoldstraße. Seit ich Bücher kaufe, tue ich dies fast ausschließlich bei Lehmkuhl, und seit ich Lesungen besuche, mache ich das – wenn ich es denn mache – dort. Kleine und mittlere Buchläden jedoch, das weiß man, sind nicht erst seit dem Zeitalter des Internets bedroht. Schon die großen Haie im Buchgeschäft, Hugendubel und wie diese Gutenberg-Aldis sonst noch heißen, graben ihnen gehörig das Wasser ab – der Film „e-mail für dich“ hat in amerikanisch rührender Weise dieses Phänomen für New York beschrieben. Aber auch das Internet mit so gefährlichen Großfischen wie amazon.com und seinen deutschen Nachahmern bedroht die netten kleinen Läden um die Ecke. Überhaupt: Wer liest eigentlich noch Gedrucktes zwischen Pappdeckeln?
Offenbar mehr, als man denken möchte. Immerhin scheinen viele der großen Internet-Buchladenbetreiber den Film gesehen zu haben, in dem die tapfere kleine Kinderbuchladentante so beherzt für ihr schnuckeliges Etablissement gegen den herzlosen Supermarktramscher kämpft, bei dem niemand mehr von irgendwas eine Ahnung hat. Die Möglichkeiten des Internetbuchladens sind da größer. Denn siehe, plötzlich machen sie alle auf persönlich. www.bol.de wirbt mit „Jetzt kommt das Beste: My BOL“, was sich dann als ein „privates Bücherbord“ erweist. „Ein paar Hinweise von Ihnen genügen, und wir bauen eine Buchhandlung speziell für Sie – eben My BOL.“ Der lächerliche Name soll wohl irgendwie nach Maibowle tönen. Fünf Autoren und fünf Themengebiete darf man eingeben und kriegt dann laufend die Neuerscheinungen dazu präsentiert. Na prima. So haben wir uns ein „privates Profil“ immer vorgestellt. Und Bol schwört natürlich, dass niemand je von unserem kleinem Geheimnis erfährt. Just the two of us, me and my bolli.de.
Kurzweiliger ist da schon libri.de. Der Buchgroßhändler grabscht sich einen erst mal mit dem etwas kryptischen Spruch „Die Bücher sind für uns Abendländer, was den Morgenländern das Opium oder den wiederkäuenden Tieren der dritte Magen“ (Karl Julius Weber). Als Einstiegsdroge bietet libri uns Abendländern dann auf seiner Webseite ziemlich ausführliche Leseproben – übrigens als einziger aller Internetbuchläden. In dem „Lesesalon“ ist es ein Weilchen richtig spannend. Möchte man doch wissen, was die da so rausgefischt haben aus der aktuellen Produktion. Es reicht von Antonio Lobo Antuñes und H. C.. Artmann über Luc Bondy und T. C. Boyle bis zu Reich-Ranicki, Inge Viett und Wittgenstein. Immerhin. Da kann man schon ein Weilchen schmökern, um auf der nächsten Buchmesse Eindruck zu schinden.
Als braver Internetseiten-Kolumnist habe ich mir natürlich geschwind eine Leseprobe von K. S. Youngs Buch „Caught in the Net – Suchtgefahr Internet“ (Kösel) reingezogen. Und nun bin ich doch etwas verwirrt. Wenn ich im Internet in einem Buch (Vorsicht: Opium für Abendländer) über die „Suchtgefahr Internet“ lese, bin ich dann gefährdet, weil ich ein Buch lese oder weil ich es im Internet lese? Oder bin ich sogar doppelt gefährdet? Alles Quatsch. Eins aber habe ich nach einer Stunde im digitalen Lesesalon begriffen: Das mit dem dritten Magen und den wiederkäuenden Abendländern. Im Internet ernsthafte Lektüre zu betreiben, ist, als äße man Vorgekautes. Eingespeichelt und in Bröckchen gepackt von irgendwelchen Webwerbefuzzis. Gut gemeint, aber ich gehe doch lieber zum guten alten Lehmkuhl. Selber blättern, selber lesen, selber kauen. Und ab und zu eine von den netten Buchhändlerinnen fragen. Suchtgefahr Leopoldstraße. Thomas Pampuch
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