:
■ Fünf Millionen Besucher, Wurstskandale, Brandanschläge auf das gedoppelte Goethehaus und die Frage: Was bleibt? Ein Gespräch mit Bernd Kauffmann, Generalbeauftragter der Weimar '99 – Kulturstadt Europas GmbH, über Weimar, Klassik und Kultur als Standortfaktor
taz: Der Kultursommer in Weimar ist vorbei. Mit knapp fünf Millionen Besuchern ist die Zahl der Weimar-Touristen schon jetzt doppelt so hoch wie in den vergangenen Jahren. Sie werden hier derzeit als der Messias der Kulturstadt gefeiert. Was kommt als nächstes? Ihre offizielle Heiligsprechung?
Bernd Kauffmann: Dann steht mir wohl eher die Kreuzigung bevor, um in Ihren vatikanischen Margen zu bleiben. Sie waren ja auch Gast bei der großen Podiumsdebatte um die Kulturstadt. Die deutlichen Worte, die ich da über die noch völlig unklare Zukunft der Stadt sagen musste, sind nicht nur freundlich aufgenommen worden.
Bei der Podiumsdiskussion outeten sich ihre Gegner als Heavy-Metal-Fraktion – Schwermetall-Ansiedlung statt Kultur als Schlagwort. Der Wirtschaftsdezernent wird gern mit den Worten kolportiert: „Kultur ist mir Wurscht“.
Ich glaube nicht, dass dieser Wirtschaftsdezernent es als seine Primäraufgabe ansieht, dem Produkt Kultur angemessenes Gewicht zu geben. Es wird hier nicht gesehen, dass es über kurz oder lang Gewinn abwirft, wenn man in Weimar dem Kalb der Tradition das Kälbchen Gegenwartskultur zur Seite setzt.
Nun war der Erfolg nicht unbedingt vorherzusehen: Wenn man sich die Besucherzahlen der Kulturhauptstädte Europas in den vergangenen Jahren anguckt – mit Steigerungsraten von zehn, vielleicht zwanzig Prozent ...
Man gibt sowas posthum ja immer als ausgebuffte Strategie aus. Das war es aber nicht. Letztlich lagen wir – nicht nur inhaltlich – richtig damit, dass wir sagten: Buchenwald gehört zu Weimar. Und zwar nicht im Sinne eines Eckchens, in dem Betroffenheitsfanatiker sich schwarz gewandet zu Weihestunden treffen, sondern programmatisch. Das war der erste Krach, den wir bekommen haben.
Mit der Stadt?
Nein, mit der auswärtigen deutschen Politik. Die hielten das gerade im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zu Goethes 250. Geburtstag für ein Übermaß. Der Vorwurf der Buchenwaldisierung ging ja auch durch die Presse. Die Stadt möchte ich da eher in Schutz nehmen. Seit Volkhard Knigge Leiter der Gedenkstätte Buchenwald ist, also seit 1992, haben wir hier in der Stadt immer wieder das Nebeneinander von Klassik und Zivilisationsbruch formuliert.
Schon seit Ende 98 hat sich herausgestellt, dass die französische, wahnsinnig die skandinavische, die holländische und die amerikanische Presse da plötzlich sehr genau hingeguckt haben und im positiven Sinne überrascht waren. Vom Svenska Dagbladet bis zur New York Times. Auch die Libération. Man hat anerkannt, dass wir hier nicht die Reihenuntersuchung der deutschen Klassik abfeiern. Und dass wir dieses Nebeneinander manifestiert haben durch „künstlerische Eingriffe“, wie dieses „Oben und Unten“ von Rebecca Horn, das mir unendlich ans Herz gewachsen ist. Oder die Zeitschneise nach Buchenwald.
Das Zweite ist: Nach zwei bis drei Jahren der Jagdszenen in Thüringen – auch was die GmbH betraf: mit Brandanschlägen gegen die Kopie des Goethe-Gartenhauses und Bombendrohungen – hat sich hier in der Bevölkerung was gedreht. Hinter den Baugerüsten kam ein ganz angenehmes Weimar zum Vorschein. Der Durchbruch kam wohl mit dem fröhlichen Einweihungsfest für unser „gefälschtes“ Goethe-Gartenhaus, wo Herr Kujau neben dem Berliner Professor Kamper stand: der Intellektuelle neben dem Fälscher. Und der Kamper redete über die Verdoppelung, und der Kujau verteilte Autogramme von Johannes Paul II., Bill Clinton oder Honecker. Die waren so perfekt gefälscht wie das Gartenhaus.
Ein anderer Magnet war Ihr feines Händchen für potenzielle Skandale. Die Ablehnung des Daniel-Buren-Werks auf dem Rollplatz ging um die Welt. Dann kam im Frühsommer die Weigerung eines Amtes, im Weimarer Gauforum Mischa Kuballs Lichtinstallation hinzunehmen. So wurde die Stadt ein weiteres Mal vorgeführt.
Das stimmt nicht. Auf Buren bin ich zugegangen, weil ich glaubte, aus seinen Arbeiten in Tokio, Lyon, Paris, er sei gar nicht so ein Avantgardist, der die Stadt verschrecken könnte. Die Komik war doch, dass anfangs alle gesagt haben: Toll! Und drei Wochen später drehte sich plötzlich die Stimmung. Bei Kuball habe ich immer gesagt: Peitscht das nicht so hoch! Ich hab dem Ulrich Krempel (Kurator der Ausstellung: „Ephemere Medien – Licht auf Weimar“, die Red.) gesagt: Mein Gott, mach da doch keinen Wirbel drum – das ist kein Skandal!
Auch den Bratwurststreit haben wir nicht inszeniert. Der ist ganz naiv entstanden, weil mich die Bild-Zeitung anrief und fragte: Sagt mal, verkauft ihr da Bratwurst? Woraufhin ich gesagt habe: Das ist mir doch Wurscht und Wumpe, nein, wir verkaufen seit fünf Jahren an unseren Veranstaltungsorten keine Bratwurst. Ich finde das vor unseren Häusern nicht angemessen. Und Bild hat dann eine Volksbewegung draus gemacht.
Selbst Ihre objektiven Fehler haben Weimar genutzt. Beispiel: Die Ausstellung zum „Aufstieg und Fall der Moderne“, also die berüchtigte Schau zur DDR-Kunst. Da gibt es Matthias Flügge als anerkannten Fachmann zur DDR-Kunst, mit dem sie 1996 eine schöne Übersichtsausstellung verabreden. Zwei Jahre später bekommt der Architekturprofessor und Westler Achim Preiß von Ihnen genau den gleichen Auftrag. Der macht einen skandalträchtigen Schnellschuss, und plötzlich war alle Welt gespannt auf Flügges Ausstellung in Apolda, die am 26. September eröffnete. Ein Supertiming, wie Sie das inszeniert haben!
Die Geschichte ist natürlich wieder eine ganz andere. Wir hatten eine Ausstellung geplant zum Thema: Gibt es das typisch Deutsche in der Kunst der letzten zweihundert Jahre? Aber wir kamen nicht klar. Weil es da um ganz andere Bilder ging als bei „Aufstieg und Fall der Moderne“. Das war eine hochgradig versicherungsrelevante Angelegenheit. Dann kam Herr Preiß mit seinem Vorschlag, die Bilder aus Hitlers Privatsammlung und aus den DDR-Archiven zu zeigen. Da dachte ich: Okay, im Grunde hilft das. Und dann habe ich – Westler, der ich bin – mich eigentlich nur um eine richtige, sprich: verehrungsresistente Ausstellung der Hitler-Sammlung gekümmert. Die DDR-Ausstellung – die so schlecht, wie sie heute gemacht wird, ich auch nicht finde ...
... ich auch nicht ...
... habe ich nicht weiter beachtet. Das war meine Fahrlässigkeit. Ich dachte: Das ist ein deutscher Professor, der kennt das ja, und außerdem hält da noch die Kunstsammlung Weimar ihren Finger drauf. Und an Flügge habe ich in dem Zusammenhang überhaupt nicht gedacht. Preiß, das war so eine Werkschau querbeet, aus vier Archiven zusammengestellt. Flügge mit seiner thematischen und konzisen Ausstellung war für mich was ganz anderes.
Kann das Medienecho auf „Weimar '99“ überhaupt eine Wertschöpfung von Bestand für die Stadt sein?
Das Weimar-Image gibt es jetzt. Und zwar von zwei ganz unterschiedlichen Seiten: Die Japaner sind klassiksüchtig, und die Amerikaner sind Buchenwald- und Bauhaus-süchtig. Aber das hat ein Verfallsdatum von einem halben Jahr. Also muss man darauf aufbauen. Nehmen wir das von mir geradezu geliebte West-Eastern-Divan-Orchestra, das wir hier unter der Leitung von Barenboim ins Leben gerufen haben. Unsere nächtlichen Debatten in dem Workshop zu dem Orchester waren von einer ungeheuren emotionalen Intensität. Edward Saids Versuche, Menschen aus Damaskus oder Israel zusammenzukriegen, zum Beispiel! Oder die Auseinandersetzungen, wenn Ihnen ein Syrer vor der Fahrt nach Buchenwald erklärt, das sei doch eine zionistische Machenschaft hier – und wie er dann die Erfahrung macht, dass dem nicht so ist, dass da neben ihm jemand sitzt, der sagt, ich bin zum ersten Mal in Weimar und da oben ist mein Vater umgekommen. Dass sich darauf ein Orchester gründet – das heißt für mich Wertschöpfung.
Konkret: Was wäre die Zukunft des Orchesters?
Wir haben eine Zusage des TDK-Unternehmens. Die haben sich, wie das im Sponsoren-Jargon so heißt: committed. Für mindestens zwei Jahre. Die sind daran interessiert, dass es in Zukunft eine Art Managementbüro gibt, das die Konzerte fürs West-Eastern-Divan-Orchestra organisiert – und zwar gerade an atypischen Orten wie Bethlehem oder Damaskus. Die Idee ist: jedes Jahr ein Workshop hier in Weimar sowie eine internationale Tournee. Unser Sponsor würde sowohl dieses Weimarer Büro als auch die einzelnen Konzerte fördern. Aber vermutlich müssen wir das Management an irgendeinen anderen Ort verlegen – weil: Hier scheint keiner Interesse daran zu haben.
Ein anderes Beispiel ist da die Zeitreisen-Ausstellung. Frau von Plessner hat mit diesem touristischen Leitsystem durch die Stadt eine gute Arbeit geleistet. Ein multimediales Stelltafelsystem, gekoppelt mit einem Audiosystem in sieben Sprachen, außerdem ein Katalog – das hat sich außerordentlich gut bewährt und ist allseits anerkannt. Es bräuchte nur noch stabilere Zuführungen, dann könnte das stehen bleiben. Mit der Beweglichkeit eines Tankers läuft die Sache jetzt vermutlich auf Grund. Mit dem West-Eastern-Divan-Orchestra bin ich inzwischen so weit, dass ich sage: Gut, dann gebe ich das Management eben nach Hannover.
Das könnten und dürften Sie?
Weder der Titel noch sonst etwas ist gesetzlich geschützt. Alles basiert auf persönlichen Absprachen. Natürlich kann ich der TDK sagen: Gebt das mal lieber nach Hannover.
Was also fehlt Weimar – nicht inhaltlich, sondern strukturell – für das Jahr 2000?
Es fehlt eine Gesellschaft, die Erfahrungen vom Ticketing bis zur inhaltlichen Konzipierung eines Festivals hat. Jetzt werde ich ganz trivial: Es ist wichtig, dass Sie fürs Goethe-Wohnhaus am 30. Mai oder 5. Oktober 2000 jetzt schon eine Gruppenführung kaufen können – verbunden mit Übernachtungen und inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Die Stiftung Weimarer Klassik muss doch buchbar sein, vedammt noch mal. Und sie muss inhaltlich arbeiten und Sponsorengelder empfangen dürfen.
In der Öffentlichkeit gewinnt man diesen Eindruck von der Kulturstadt GmbH: Alles stehen lassen, alles retten. Eine zweite, diesmal postmoderne Sammlung auf die klassische von vor 200 Jahren draufsetzen.
Das stimmt nicht. Wenn wir hier kein Interview machten, würden wir jetzt wahrscheinlich die Füße hochlegen und ich würde Sie in einer Stunde mal fragen: Sag mal, sollen wir's stehen lassen oder nicht? Und es gibt genauso Gründe, Sachen wegzumachen. Oder sie – wie das Gartenhaus – bis ins Frühjahr stehen zu lassen. Die Orte verlieren ja auch ihre Suggestionskraft. Es geht mir nicht darum, dass wir hier irgendwelche halbbaulichen Spuren wie die Vollidioten retten. Sondern es geht einfach darum, zu überlegen: Kann man damit auch anderes in Gang setzen? Beim West-Eastern-Divan-Orchestra und der Zeitreise bin ich tief davon überzeugt, dass sie bleiben sollten.
Was könnte man denn machen mit den riesigen Veranstaltungshallen, die Sie in diesem Jahr gefüllt haben, mit diesen Überbleibseln des Weimarer Industriezeitalters, der Viehauktionshalle oder den Weimarwerken?
Für das Weimarwerk ist schon viel vom ACC und anderen Gruppen für das Jahr 2000 geplant. Mit den drei Bühnen, die wir da eingebaut haben, lässt sich das ohne größere Ausgaben noch ein paar Jahre nutzen. Theater braucht doch heute nicht mehr zwingend eine feste Burg. Und wenn man hier vorführt, dass es Orte gibt, die für fünf Jahre genutzt werden und dann entweder abgerissen oder einer anderen Nutzung zugeführt werden, dann können Sie das Spiel noch zwanzig Jahre weitertreiben und Sie haben permanent suggestive Räume. Auf der anderen Seite wird für 150 Millionen Mark in Erfurt eine neue Bühne gebaut – was ich für falsch halte. Aber das ist keine Antwort auf Ihre Frage – traurig ist nur, dass man darüber nicht mal redet. Es gibt einfach von der einen Hälfte der Stadt die stillschweigende Aufforderung: Bitte verschwindet endlich!
Eine Verlängerung des Vertrages der Kulturstadt GmbH um ein Jahr – also für 2000 – wollen Sie nicht mitmachen: „Wir spielen hier doch nicht die Ausputzer“, so Ihre Antwort auf derartige Gedankenspiele beim Kulturdezernenten. Wo sehen Sie die Zukunft der Kulturstadt GmbH?
Die Gesellschaft endet satzungsgemäß am 31. 12. 1999. Wenn jetzt Leute sagen: Macht doch einfach noch ein Jahr weiter, dann kennen die die Rechtslage nicht. Die Gesellschaft hat den Bund, das Land und die Stadt als Anteilseigner. Die müssten eine neue Satzung beschließen, der Bund würde da sowieso rausgehen ... das können Sie vergessen. Unsere Aufgabe ist in drei Monaten beendet. Und das soll auch so sein.
Interview: Fritz v. Klinggräff
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen