: Schlange stehen zum halben Preis
■ Schnäppchenjäger stürmen zum 25. Geburtstag im Schlafanzug die Ikea-Filiale in Spandau. Tageseinnahmen werden an Mitarbeiter verteilt
Schon zwei Haltestellen vorher gerät der Bus der Linie 145 ins Stocken, die letzten Meter legt er nur noch im Schritttempo zurück. „Was is'n da los?“, fragt das Mädchen im giftgrünen Pulli ihre Freundin. Die weiß Bescheid: „Ein Ikea-Fest und alle sind besessen.“ Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen guckt mit staunend geöffnetem Mund vom überlebensgroßen Wahlplakat auf den schwedisch blaugelben Wellblechkasten in Spandau. So viele Menschen wie an diesem Samstag vor dem Ikea-Möbelhaus hat er wohl bei keiner Wahlveranstaltung gesehen. Rund 17.000 Menschen sind in das Möbelhaus gekommen, um das 25-jährige Bestehen von Ikea in Deutschland zu feiern, sagt Geschäftsführer Dieter Gilsbach.
Doch bei vielen trüben Familienzwist und Erschöpfung die Geburtstagsfreude: Müde und blass stützt sich ein junger Mann mit einem Säugling auf dem Arm auf den Stapel aus „Risum“-Fußmatten, eine halbe Stunde Schlangestehen an den Kassen hat er noch vor sich. „Mach doch, was du willst“, zischt ein anderer Familienvater seiner Frau zu. Die kann sich nicht zwischen dem Besteckkasten „Rationell“ in Echtholz-Ausführung für 19 Mark und der billigeren Kunststoffversion entscheiden – für 3,90 Mark ein echtes Schnäppchen. „Dann nehmen wir halt gar nichts mit“, meckert sie zurück.
„Ledersofas zum halben Preis“, verkündet ein Mitarbeiter im Ikea-gelben Hemd durchs Megafon. Doch für die hartgesottenen Schnäppchenjäger kommt dieses Angebot zu spät. Denn sie haben schon seit dem Morgengrauen auf dem Parkplatz auf ihre Beute gelauert. Rund 1.800 von ihnen erschienen trotz der Kälte im Schlafanzug. Sie bekamen dafür nicht nur wie alle anderen Frühaufsteher ein schwedisches Sektfrühstück, sondern auch ein Geschenkpaket mit Bettwäsche und Handtüchern.
„Danke für 25 Jahre Schleppen, Schrauben, Staunen und Freuen“ wollte das Unternehmen mit seinem Schnäppchentag den Kunden sagen. Die Deutschen sind weltweit die treuesten Fans der schwedischen Billigmöbel. Von den weltweit 151 Filialien stehen 25 in Deutschland – fast doppelt so viele wie im Mutterland Schweden.
Auch für die Mitarbeiter hat sich Ingvar Kamprad, der Ikea 1943 im Alter von 17 Jahren erfand, ein besonderes Dankeschön ausgedacht. Die gesamten Einnahmen vom Samstag aus allen Ikeahäusern verteilt das Unternehmen unter seinen weltweit 37.500 Angestellten. Jeder soll rund 3.000 Mark brutto erhalten. Für einen chinesischen Angestellten sind das drei Monatgehälter.
360 gelbblau gekleidete Mitarbeiter waren am Aktionstag in Spandau im Einsatz, selbst wer sonst im Büro sitzt, musste Kunden bedienen. Trotz des Kundenansturms gibt Verkäuferin Filiz Senyuva geduldig Auskunft. Ihr Familienname passt wunderbar ins Ikea-Programm: Auf Türkisch bedeutet er „trautes Heim“. Susanne Sporrer/AFP
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