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Grüne von der Platte geputzt

■  In den Ostbezirken Hellersdorf, Marzahn, und Hohenschönhausen müssen sich die Grünen nach dem Verlust aller BVV-Mandate neu organisieren. Die Depression sitzt tief

Die Hellersdorfer Grünen haben sich noch nicht einmal getroffen. Nur vereinzelt haben sie miteinander telefoniert, um über das katastrophale Wahlergebnis zu beratschlagen. Bündnis 90/Die Grünen haben in den Plattenbaubezirken Hellersdorf, Marzahn und Hohenschönhausen so schwere Wahlverluste erlitten, dass sie nicht mehr in den Bezirksverordnetenversammlungen vertreten sind. „Ob wir uns früher oder später treffen, das ändert nichts“, sagt Hermann Hövel, Sprecher des Hellersdorfer Kreisverbandes. „Jeder kaut seinen Frust in sich hinein. Wenn es sich gesetzt hat, sieht man das Wahlergebnis vielleicht objektiver.“

Hellersdorf ist mit 16 Mitgliedern der kleinste der grünen Kreisverbände. Auf 2,7 Prozent sackten die Grünen dort ab. 1995 hatten sie noch 7 Prozent erzielt. Ein ähnlich dramatisches Bild ergibt sich in Marzahn und Hohenschönhausen: Hier bekamen die Grünen nur noch 2,4 Prozent. Auch sie lagen vor vier Jahren noch bei knapp 7 Prozent.

„Ich sehe nicht, was wir hätten anders machen können“, sagt Mario Gartner vom Kreisverband Hohenschönhausen. Die Grünen seien vor allem für die Politik der rot-grünen Bundesregierung abgestraft worden. Zudem hätte die Partei wegen des Kosovo-Kriegs stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt. „Auch mit mehr Präsenz im Wahlkampf hätten wir kein besseres Ergebnis erzielt“, so Gartner.

Entgegen der gängigen Wahrnehmung, dass die Grünen vor allem im Osten schwach sind, gilt vielmehr: Stark ist die Partei in den innerstädtischen Szenebezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, schwach in den Außenbezirken. Auch in Spandau kamen die Grünen nur auf 4,6 Prozent, in Reinickendorf auf 6,4 Prozent.

Die Bündnisgrünen in den östlichen Randbezirken kämpfen mit einer dünnen Personaldecke und einer chronischen Finanzschwäche. Vor allem ist es ihnen nicht gelungen, ihre Arbeit bekannt zu machen. „Wir haben sehr viel vorzuweisen“, sagt Isolde Stark, die langjährige Sprecherin des Kreisverbandes Hellersdorf. „Aber die Energie reicht entweder für gute politische Arbeit oder dafür, sie publik zu machen.“ Ein Beispiel: Sechs Jahre lang hat sie sich in einer Bürgerinitiative für die Erweiterung einer Tempo 30-Zone in einer Einfamilienhaussiedlung eingesetzt – mit Erfolg. Die Grünen finanzierten sogar ein Gutachten. Doch der Öffentlichkeit blieb dies alles verborgen.

Aus dem grünen Landesvorstand kam nach der Wahl der Ratschlag, die Grünen müssten sich im Ostteil der Stadt wieder stärker in Bürgerinitiativen engagieren. „Wir sind in Hohenschönhausen gut verankert“, kontert Mario Gartner. „Genützt hat es uns nichts.“ Zum Naturschutzbund und zu Frauengruppen bestehe enger Kontakt, das Ansehen der Grünen bei den Jugendprojekten sei gut. Doch in Stimmen ließ sich das nicht ummünzen.

Vor den drei Kreisverbänden liegen nun fünf lange Jahre außerparlamentarischer Arbeit. Eine Abwärtsspirale droht: Eine Partei, die nicht mehr in der BVV ist, wird noch weniger wahrgenommen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Grünen künftig vom Informationsfluss des Bezirksamtes abgeschnitten sind.

So mancher, der sich seit Jahren ehrenamtlich engagiert, könnte sich nun zurückziehen, befürchtet Hövel. Bricht den Grünen nun die Basis ganz weg? „Das ist nicht auszuschließen“, sagt Isolde Stark nachdenklich. Cornelia Raschke, Spitzenkandidatin der Marzahner Grünen, ist zuversichtlicher: „Ich glaube schon, dass es weitergeht. Keiner will aufgeben.“

Die künftige Arbeit muss völlig neu organisiert werden. Nicht zuletzt müssen die Grünen ihre Fraktionsräume in den Rathäusern aufgeben und Büros vor Ort mieten – eine Chance, stärker präsent zu sein. „Es muss ein ganz neues Bild der Grünen entstehen,“ sagt Raschke. „Wir haben jetzt Zeit, die Schwachstellen im Bezirk zu analysieren.“ Dorothee Winden

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