piwik no script img

Was soll „das ganze Geschrei“?

■ taz-Streitgespräch über Hamburger Drogenpolitik: Neuer Bremer Träger „steps“ für das „Drug Mobil“ sieht nichts Unrechtes an neuer Ausschreibung

Seit Hamburgs Sozialsenatorin Karin Roth (SPD) die Billstedter Fixerstube Drug-Mobil ausschrieb, sind die Gemüter im Stadtteil erhitzt. Das neue Ausschreibungsverfahren, das auf Wettbewerb für neue Sozialprojekte zielt, geriet in das Kreuzfeuer der Kritik. Die taz lud nun Ute Gothmann-Kollath von der Stadtteilkonferenz, Norbert Dworsky vom alten Träger „freiraum“ und Georg Kurz-Lund vom Ausschreibungsgewinner „steps“ aus Bremen zum Streitgespräch.

taz: Die Stadtteilkonferenz hat steps zum Rücktritt aufgefordert. Hat der Träger in Billstedt keine Chance mehr?

Ute Gothmann-Kollath: Wir hoffen, dass freiraum noch eine Chance hat. Aber unser eigentlicher Gegner ist nicht steps, sondern Sozialsenatorin Karin Roth. Aber es liegt auch in der Verantwortung von steps, ob man sich an einer fragwürdigen Ausschreibung beteiligt.

Herr Kurz-Lund, Sie kennen die Vorbehalte. Dennoch halten Sie an Ihrem Projekt fest. Warum?

Georg Kurz-Lund: Weil es für uns ein sehr interessantes Projekt ist. Wir betreiben bisher zahlreiche niedrigschwellige, suchtbegleitende Einrichtungen, die eng mit clean –orientierten Projekten zusammenarbeiten. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass unser Träger inhaltlich davon profitieren kann, das Angebot auszuweiten.

Die Feindseligkeit, die Ihnen in Billstedt entgegenschlägt, schreckt Sie nicht?

Kurz-Lund: Doch. Nachdem ich den Brief der Stadtteilkonferenz bekommen hatte, habe ich ein paar Nächte schlecht geschlafen. Bisher hatte ich das nicht so ernst genommen. Ich dachte, das ist das übliche politische Geschrei. Aber die Ablehnung durch 42 Billstedter Institutionen, ohne dass es Gespräche gegeben hat, fand ich bitter. Wir wissen auch, dass wir solche Projekte ohne eine Vernetzung im Stadtteil nicht machen können.

Hatten Sie keine Bedenken bei der Bewerbung?

Kurz-Lund: Nein. Wir haben uns nicht gegen freiraum beworben, sondern uns an einer öffentlichen Ausschreibung beteiligt.

Gothmann-Kollath: So naiv können Sie doch nicht sein! Sie können sich nicht um ein Projekt bemühen, ohne das Umfeld und den politischen Zusammenhang zur Kenntnis zu nehmen.

Kurz-Lund: Ich arbeite bei einem Träger, und wir machen Drogenhilfe. Wir machen auch Drogenpolitik, aber dafür werden wir nicht bezahlt. Wir sind ein Träger mit sehr guten Angeboten, und wir haben den Zuschlag für Billstedt bekommen, weil wir ein gutes Konzept vorgelegt haben.

Durch die Ausschreibung zieht die Marktwirtschaft in die Sozialarbeit ein. Unterstützen die Träger das nicht durch ihre Beteiligung?

Kurz-Lund: Ohne uns hätten sich auch andere beworben.

Gothmann-Kollath: Dadurch wird es nicht besser.

Kurz-Lund: Ich habe schon ausgeführt, was wir uns davon erhoffen, dass wir jetzt einen Fixerraum betreiben: Die interne Vernetzung unterschiedlicher Ansätze. Das könnte man vielleicht den „Profit“ nennen. Ansonsten haben wir eine verdammt schwere Arbeit vor uns. Der Start wird durch dieses ganze Geschrei erheblich erschwert. Durch das Geschrei können auch Konsumenten verunsichert werden – deshalb brechen vielleicht Beziehungen weg.

Dworsky: Ich wehre mich gegen den Begriff „Geschrei“. Hier wird eine öffentliche Diskussion geführt. Das können Sie nicht als Geschrei diffamieren.

Auch freiraum hat sich an der Ausschreibung beteiligt.

Dworsky: Zum einen war die Dimension nicht klar. Das Verfahren lief in Windeseile ab. Und dann war die Teilnahme der einzige Weg, unser Projekt zu halten. Grundsätzlich halten wir Marktwirtschaft in der Sozialarbeit für kontraproduktiv.

Kurz-Lund: Ich finde es in der Sozialarbeit problematisch, wenn sich Mitarbeiter unersetzlich machen. Das halte ich nicht für professionell. Wir werden das Gespräch auf jeden Fall suchen. Das ist aber auch der Auftrag der Stadtteilkonferenz. Wir haben schon an anderen Orten Projekte aufgebaut, wo alle gegen uns waren.

Wie wollen Sie Billstedt für sich gewinnen?

Kurz-Lund: Das Projekt ist langfristig. Die Gemüter werden sich irgendwann dadurch beruhigen, dass wir gute Arbeit machen.

Frau Gothmann-Kollath, überzeugt Sie das?

Gothmann-Kollath: Nein. In Billstedt wird Sozialarbeit nicht in kleinen Häppchen in Anspruch genommen, hier wird gemeinsam gelebt. Das verlangt Kontinuität. Sie sagen, wir hätten das Gespräch nicht gesucht: Es ist doch klar, dass ich mich selbst informiere, wenn ich mich irgendwo bewerbe.

Was müsste von steps kommen, damit der Stadtteil dem Projekt eine Chance gibt?

Gothmann-Kollath: Im Moment sehe ich da keine Perspektive.

Als freiraum anfing, waren auch viele dagegen. Heute kämpfen dieselben Leute für den Verbleib des Trägers. Was ist in den fünf Jahren passiert ?

Gothmann-Kollath:

Wir haben geschuftet. Es hat mühsamste Überzeugungsarbeit vieler Leute im Stadtteil gekostet. Viele Stunden – über die Arbeit hinaus, die wir ohnehin schon haben. Dazu hat die Stadtteilkonferenz gesagt: Das schaffen wir nicht noch einmal. Wir wollen irgendwann auch einmal normal arbeiten.

Herr Kurz-Lund, warum ein neues Projekt aufbauen, wo es bereits ein funktionierendes gibt?

Kurz-Lund: Das Drug-Mobil war von vornherein befristet. Zum 31. Dezember macht es ohnehin dicht. Und am 1. Januar fangen wir mit dem neuen Projekt an.

Dworsky: Das stimmt nicht. Das Drug-Mobil war eine Interimslösung. Wir haben immer einen fes-ten Standort angestrebt. Am Runden Tisch sind Sie flehentlich gebeten worden zu sagen, was auf den Stadtteil zukommt. Sie haben gemauert.

Kurz-Lund: Es war mit der Behörde abgesprochen, dass wir weder zu Personalstunden oder Öffnungszeiten noch zu den Kosten Stellung nehmen.

Dworsky: Unfassbar.

Gothmann-Kollath: Das ist genau das, was die Menschen interessiert.

Kurz-Lund: Es sollte erst mal ein Stillschweigen geben, und wir haben uns darauf eingelassen. Das war auch gar nicht der eigentliche Runde Tisch, sondern jede Menge Besucher, die zusätzlich versucht haben, Stimmung zu machen.

Gothmann-Kollath: So funktioniert ein Runder Tisch: Alle können kommen, die besorgt sind.

Wie wollen Sie das Vertrauen des Stadtteils gewinnen?

Kurz-Lund: Wir starten am 1. Januar. Bis dahin gibt es das Projekt noch nicht. Als ersten Schritt, aufeinander zuzugehen, überreiche ich Ihnen jetzt unser Konzept.

Frau Gothmann-Kollath: Falls steps im Januar startet, leiden nicht die AnwohnerInnen und Junkies darunter, wenn man die Zusammenarbeit verweigert?

Gothmann-Kollath: Ich kann nicht für einen Fall denken, den ich nicht für möglich halte. Sonnenklar ist nur: Das kann so nicht durchgehen. Herr Kurz-Lund, Sie haben es mit einem brüchigen Stadtteil zu tun. Hier geht es darum, Kommunikation herzustellen. Und da sagen Sie, Sie kommen doch erst im Januar. Ich glaube Ihnen sogar, dass Sie auf die Idee, das Gespräch zu suchen, bisher gar nicht gekommen sind. Aber das disqualifiziert Sie.

Sitzen Sie heute zum letzten Mal an einem Tisch?

Kurz-Lund: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Vertreter einer Stadtteilkonferenz sich auf Dauer einer Zusammenarbeit verweigern.

Dworsky: Sie haben eine Bringeschuld.

Kurz-Lund: Wir werden im Januar anfangen, hier zu arbeiten und Kontakt aufzunehmen. Wenn erst mal Zeit vergangen ist, wird die Tür schon aufgehen.

Gothmann-Kollath: Rechnen Sie nicht zu sehr mit der Vergesslichkeit der Leute.

Kurz-Lund: Es geht mir nicht um Vergesslichkeit, sondern darum, dass man zusammen arbeiten muss. Nächste Woche werden wir mit der BAGS über Finanzen reden. Ich habe schon angedeutet, dass wir zusätzlich eine halbe Stelle für Öffentlichkeitsarbeit brauchen. Was hier kaputtgeschlagen wird, muss wieder aufgebaut werden. Fragen: Elke Spanner und Heike Dierbach (Foto)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen