■ Filmstarts a la carte: Kurven, Ketten und Ekstase
Einst gehörte „Ekstase“ (1933) des tschechischen Regisseurs Gustav Machaty zu den weltweit berühmtesten Werken der Kinogeschichte. Was nicht zuletzt daran lag, dass man hier vermutlich erstmals in einem kommerziell vertriebenen Film den blanken Busen seiner Hauptdarstellerin bewundern konnte, einer gewissen Hedwig Kiesler. Und weil „Ekstase“ fortan zu einem europäischen Kassenschlager geriet, horchte auch Hollywood auf. Frau Kiesler wurde zur schönsten Frau Europas erklärt, bekam einen Vertrag bei MGM und einen neuen Namen: Hedy Lamarr. Was für die schöne Wienerin immerhin rund zwei Jahrzehnte Starruhm und –rummel nach sich zog. Der Film, dem sie den Trubel eigentlich verdankte, konnte allerdings in den USA aufgrund der dortigen Zensurbestimmungen zunächst gar nicht gezeigt werden. Erst wurde die einzige in Amerika vorhandene Kopie von „Ekstase“ angeblich konfisziert und verbrannt, später schnitt man neue Kopien derart um, dass die äanstößigenô Szenen dem Production Code entsprechend entschärft wurden. Geschickt lancierte Gerüchte über einen eventuellen Aufkauf sämtlicher Kopien durch Hedys eifersüchtigen Ehemann hielten das „Skandalwerk“ und seine Protagonistin auch weiterhin in den Schlagzeilen. Heute kennt den Film kaum mehr jemand. Wer allerdings einen verschollenen Camp-Klassiker erwartet, wird zwangläufig enttäuscht werden, denn „Ekstase“ erweist sich als ein überhaupt nicht spekulatives, bedächtiges romantisches Melodrama. Die nackte Hedwig ist nämlich dramaturgisch durchaus motiviert und – dank langer Brennweite und Spiegelungen im Wasser – weitestgehend dezent eingesetzt. Eigentlich muss der Film den Zeitgenossen 1933 bereits veraltet erschienen sein, denn trotz einzelner Dialogszenen steht „Ekstase“ mit seiner heftigen Symbolik und den Assoziationsmontagen dem Stummfilm erheblich näher als dem Tonfilm. Als ausgesprochen modern kann man jedoch die Story bezeichnen: die Emanzipationsgeschichte einer Frau, die ihren langweiligen Ehemann verlässt, um sich selbstbewusst und selbstbestimmt einen Liebhaber zu suchen. Und in der Liebesnacht zeichnet sich dann – während es draußen symbolträchtig stürmt – auch die titelgebende Ekstase auf ihrem Gesicht ab.
„Ekstase“ 25.10.-27.10. im Central 2
Noch ein Film, der seinerzeit Schlagzeilen machte. Mervyn Le Roys „I am a Fugitive from a Chain Gang“ (1932) kommt im typischen Warner-Stil der frühen Dreißiger daher: schnell, knallhart und realistisch (oder was man damals dafür hielt). Die Geschichte eines Mannes, der unschuldig zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt wird, sorgte mit ihrer Kritik an den Mißständen im amerikanischen Justizvollzugsystem für Furore und gehört zu den großen Filmklassikern der Depressionsära.
„I am a Fugitive from a Chain Gang“ (OF) 22.10., 24.10. im Arsenal
Als Anna Magnani Mitte der fünfziger Jahre für ihren ersten amerikanischen Film nach Hollywood kam, erwartete sie ein immenses Aufgebot von Reportern. Leider verdankte sie das gewaltige Interesse einer Namensverwechslung: Die Zeitungsmenschen hatten nicht die kantige Charakterschauspielerin, sondern die kurvenreiche Silvana Mangano, den Star aus Giuseppe de Santis' „Bitterer Reis“, empfangen wollen. De Santis hatte die unübersehbaren Reize der ehemaligen Miss Rom nämlich derart geschickt in seine Mischung aus neorealistischer Studie des Lebens armer Arbeiterinnen auf den Reisfeldern der Poebene und Melodram um Verlockungen des (kriminell erworbenen) Reichtums integriert, dass der Riso amaro zum Welterfolg avancierte. Im Filmkunst-Kino ist Miss Mangano zum Auftakt einer Reihe mit Filmen aus dem Piemont auf der Leinwand zu bewundern.
„Bitterer Reis“ (OF) 22.10. im Filmkunst 66
Lars Penning
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