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Georgiens Clans kämpfen um die Vorherrschaft

■ Die morgigen Parlamentswahlen sind eine Vorentscheidung über die Orientierung der Kaukasusrepublik. Erstmals muss auch Präsident Schewardnadse um seine Macht bangen

Moskau (taz) – Er sei ein „megalomanischer Schizophrener, der unter paranoiden Wahnvorstellungen leide“, behauptet das Wahlkampfteam des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse vom dessen aussichtsreichstem Gegenspieler, Aslan Abaschidse. Der Provinzfürst aus Batumi in der südwestgeorgischen Provinz Adscharien lässt sich auch nicht lumpen: Öffentlich bezichtigt er den Herrscher in Tiflis, Attentatspläne gegen ihn im Schilde zu führen.

Seit Jahren hat der 61-jährige Abaschidse die Hauptstadt daher nicht mehr besucht. Morgen wählen die Georgier ein neues Parlament. Politische Auseinandersetzungen wurden in dem transkaukasischen Sonnenflecken noch nie besonders zimperlich geführt. Auch dieser Wahlkampf bleibt der Tradition verpflichtet und gleicht eher einer Schlamm- denn einer Wahlschlacht.

Insgesamt über dreißig Parteien und Blöcke stellen sich bei den dritten Wahlen seit Georgiens Unabhängigkeit den Wählern. Hoffnungen, die 7-Prozent-Hürde zu überspringen, können sich aber höchstens fünf Parteien machen. Allen voran die von Präsident Schewardnadse geführte Bürgerunion und das Bündnis Sakartwelos Agordsineba – Bund der Wiedergeburt –, das Aslan Abaschidse zur Frontfigur erkoren hat. Umfragen zufolge liegen beide Vereinigungen mit jeweils einem Drittel der Stimmen Kopf an Kopf.

Hat sich die Bürgerunion nach sieben Jahren unter der Ägide des georgischen Potentaten quasi zu einer Staatspartei oder, um im kaukasischen Bild zu bleiben, einer Clanverwaltung entwickelt, ist die Wiedergeburt ein loses Zweckbündnis, das nur von einem einzigen Motiv zusammengehalten wird: dem Hass auf Schewardnadse und dem daraus resultierenden Ziel, ihn bei den Präsidentschaftwahlen im nächsten Jahr aus dem Amt zu vertreiben. Unter dem Dach der Wiedergeburt haben sich so heterogene Kräfte versammelt wie Neoliberale und Neostalinisten. Die Parlamentswahlen gelten als Testlauf für die Wahlen des Staatsoberhaupts. Wer morgen das Rennen macht, hat auch bei den Präsidentschaftswahlen gute Aussichten, seinen Kandidaten durchzubringen.

Zum ersten Mal seit seiner Amtsübernahme im Jahre 1992 sieht der ehemalige sowjetische Außenminister Schewardnadse seine Herrschaft von einer legalen Kraft bedroht. Sollte die Wiedergeburt im Parlament eine Mehrheit erzielen , käme das einem „Staatsstreich“ gleich, warnte Schewardnadse unlängst. Abaschidse würde die prowestliche Politik Georgiens revidieren und sich wieder Russland zuwenden. Die Äußerung des Präsidenten sorgte in Tiflis für Unruhe. Deutete Schewardnadse damit womöglich an, dass er einen Sieg der oppositionellen Sammlungsbewegung nicht so einfach hinnehmen würde? Und wollte er im Westen dafür im Voraus um Verständnis werben? Beobachter in der georgischen Hauptstadt sind sich zumindest in einem einig: „Die politische Atmosphäre ist hochgradig polarisiert, und das gibt Anlass zu großer Sorge.“

Ohnehin gleicht die ehemalige Sowjetrepublik an den Südhängen des Kaukasusmassivs einem multiethnischen Minengürtel, den Schewardnadse bislang nur recht lückenhaft räumen konnte. Nach wie vor ist das Schicksal der abtrünnigen Republik Abchasien ungeklärt. Dort wurde vor wenigen Wochen ein Referendum durchgeführt, in dem sich die Mehrheit für eine Unabhängigkeit von Tiflis aussprach. In Südossetien regen sich Kräfte, die die Vereinigung mit den Osseten in Russland suchen, und an der Grenze zu Armenien sperrte sich die armenische Minderheit gegen eine Stationierung georgischer Truppen.

Abaschidse, der das autonome Gebiet Adscharien wie ein Provinzfürst verwaltet und dem der Ruf eines zwielichtigen Geschäftsmannes anhaftet, hat sich indirekt längst vom Zentrum abgenabelt. Zwar verfolgt die muslimische Republik im mehrheitlich christlichen Georgien keine sezessionistischen Ambitionen. Steuern hat Adscharien indes seit Jahren nicht mehr entrichtet. Anweisungen aus der Hauptstadt werden dort grundsätzlich überhört. Tiflis rächte sich, indem es die Trasse der Ölpipeline vom Kaspischen Meer nach Supsa und nicht in den Hafen Batumi verlegte.

Mit Demokratie haben die Wahlen in Georgien wenig zu tun. Vielmehr ist es ein Kampf zweier mächtiger Clans um die Vorherrschaft, von denen der eine sich nach Westen orientiert, währeend der andere sich noch nicht endgültig festgelegt hat.

Klaus-Helge Donath

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