: Eine türkische Geste hilft Papandreou im Wahlkampf
■ Durch Clintons Vermittlung könnte demnächst etwas Bewegung in die Zypern-Frage kommen – das größte Hindernis auf dem Weg zur griechisch-türkischen Verständigung
Als Georgos Papandreou seine Rede beendet hatte, herrschte zunächst einmal höfliches Schweigen. Es war der erste Auftritt eines griechischen Außenministers in der türkischen Öffentlichkeit seit vielen Jahren, und die meisten der handverlesenen Teilnahmer aus Medien, Kunst und Politik hatten sich offenbar mehr erhofft.
Es sei dieselbe Rhetorik wie immer gewesen, kommentierte der überwiegende Teil der türkischen Presse enttäuscht, da zu dem Zeitpunkt noch auf der Woge der wiedergefundenen Freundschaft. Papandreou habe wenig Verständnis für die türkische Sicht auf Zypern gezeigt. Insofern war dieser Besuch zwar ein großer Schritt in Richtung Verständigung, zugleich aber auch die Rückkehr der Realpolitik in den Beziehungen beider Länder – allerdings auf anderem Niveau als zuvor.
Bei dem noch vor dem Erdbeben im August begonnenen griechisch-türkischen Dialog werden auf der Staatssekretärsebene der beiden Außenministerien über bilaterale Probleme unterhalb der Ebene Zypern und Festlandsockel Ägäis lange Kataloge abgehandelt. Das hat bereits zu mehreren unterschriftsreifen Abkommen geführt, bis hin zur Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen.
Mittlerweile hat sich die türkische Regierung auch zu einer Geste des guten Willens durchgerungen, die die Position Papandreous in Griechenland verbessern könnte. Eine traditionsreiche theologische Ausbildungsstätte der griechisch-orthodoxen Kirche auf der Insel Heybeli bei Istanbul, die 1974 unmittelbar nach dem Zypern-Krieg geschlossen wurde, soll jetzt wieder öffnen dürfen. Auch der größte Brocken auf dem Weg zur griechisch-türkischen Freundschaft scheint in Bewegung zu kommen. Als der türkische Ministerpräsident Ecevit in der letzten Oktoberwoche Washington besuchte, ging es auch um Zypern. Seitdem reist der neue US-Sonderbotschafter Moses durch die Region, um Lösungsmöglichkeiten auszuloten. US-Präsident Clinton hat angekündigt, vor dem OSZE-Gipfel am 18. November in Istanbul noch nach Athen zu reisen, um mit dem griechischen Premier Simitis zu reden. Unmittelbar nach dem OSZE-Gipfel soll in Istanbul ein Dreiergipfel Clinton/Simitis/Ecevit stattfinden. Da solche Treffen nur stattfinden, wenn es etwas vorzuzeigen gibt, kann man davon ausgehen, dass Clinton zumindest die Aufnahme direkter Verhandlungen zwischen allen vier Parteien ankündigen wird. Das wäre zwar noch nicht viel, dürfte aber für den EU-Gipfel in Helsinki reichen und außerdem der griechischen Regierung ihren kommenden Wahlkampf erleichtern.
Jürgen Gottschlich, Istanbul
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen