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Der homosexuelle Mann ...  ■   Von Elmar Kraushaar

... wird erst richtig angenommen als Leiche. Kaum ist er tot, lässt sich trefflich über ihn erzählen und berichten, werden aus „Privatsekretären“ und „Chauffeuren“ endlich die wahren Liebhaber, und die verehelichte Cousine steht plötzlich als Sandprinzessin da, als Frau, die der Öffentlichkeit über Jahrzehnte hinweg Sand in die Augen streute, um die eigentliche Gemütslage des Ehemannes zu vertuschen.

Nicht, dass all diese Details aus dem Leben des Schlagersängers Rex Gildo neu gewesen wären, alle, die es wissen konnten, haben es gewusst: Die Journalisten, die Kollegen, die Fans, die Freunde. Schon seit Jahren. Nur darüber reden mochte keiner, zu Lebzeiten: Aus Angst, verklagt zu werden als vermeintlicher Verleumder oder Denunziant; aus Furcht davor, Abschied nehmen zu müssen von ein paar lieb gewonnenen Illusionen; aus dieser abgrundtief liberalen Haltung heraus, dies sei schließlich das Privatleben, das es zu schützen gilt.

Und jetzt? Kaum ist das Idol der verlorenen Schlagerjahre unter der Erde, ist die Rücksicht auf dieses sorgsam geschützte Privatleben keinen Pfifferling mehr wert. Die Klatschblätter und -magazine überschlagen sich mit den Enthüllungen, die so genannte seriöse Presse steht nicht dahinter zurück. Warum muss ein Prominenter erst tot sein, ehe man über seine Homosexualität offen spricht? Wen hat man zu seinen Lebzeiten mit dem Schweigen gedeckt? Wen geschützt? Die homosexuelle Wahrheit hat noch niemanden in den Tod getrieben, das Versteck und das Schweigen aber viele.

Ist es nicht heimliche Verabredung dieser – heterosexuellen – Gesellschaft, keinen Homosexuellen zu dulden in ihrer Mitte? Den nicht mit bekanntem Namen, mit beliebtem Gesicht? Sonst könnte er keiner der ihren mehr sein, wenn er einen Namen hätte und ein Gesicht, und wäre als der andere plötzlich mittendrin in ihrem Leben, da wo er nicht hingehört. „Selbst wenn es wahr ist, darüber schreibt man nicht!“, zeterte ein verzweifelter Fan gegenüber einem Journalisten, der über die Homsexualität seines Idols berichtet hatte: „Das gehört sich nicht!“ Das gehört sich nicht! Genau das ist der Konsens: Darüber reden gehört sich nicht, so zu sein gehört sich nicht, so zu leben gehört sich nicht. Das einzige Zugeständnis an das Unvermeidbare ist die repressive Rede vom Privatleben. „Kannst du es nicht wenigstens für dich behalten?“, schrie die erfolgreiche Geschäftsfrau und strenge Mutter ihren Sohn an, als er sich ihr nach langen Qualen endlich offenbarte. Schnell hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen, und ehe sie den Raum verließ, sah sie den Sohn noch einmal verächtlich an und sagte: „Du weißt ja, wo der Revolver liegt!“ Das war 1992 und nicht 1892, und die Geschichte ist wahr. Wie unzählige andere, die mit viel weniger Pathos auskommen und so gar nicht für die Leinwand taugen.

Homosexuelle haben daraus gelernt und kennen ihre Rolle genau, sie wissen um jede Facette des Versteckspiels. Mit ihrem unfreiwillig erworbenen Talent bespielen sie jede Bühne jeden Tag. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Und wahre Triumphe feiern sie, wenn sie durchkommen damit und ihnen niemand an den Kragen geht. Rex Gildo hatte seinen Zenit schon lange überschritten.

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