: Die älteste Rivalität des Sports
■ Schottland – England: Vor dem EM-Qualifikationsspiel wird gealbert, gefeixt, gestichelt – und Englands Teamchef Kevin Keegan kritisiert
London (taz) – Kaum war bekannt, dass England gegen Schottland um die Qualifikation zur Euro 2000 spielen würde, änderte sich beim englischen Erstligaklub FC Everton sofort der Trainingsplan. „Die englischen Spieler wurden zum ungeliebten Lauftraining geschickt, während die schottischen feixend zuschauen durften“, sagt Don Hutchison, Spielmacher des Vereins und der schottischen Nationalelf. Everton ist die größte schottische Enklave im englischen Fußball: Trainer Walter Smith ist Schotte, ebenso sechs Spieler, der Assistenztrainer und der Betreuer. Auf dem Trainingsgelände wurden schottische Fahnen gehisst und in einer Gegenoffensive zerschnipselt, Zeitungsüberschriften an die Wand der Umkleidekabine geklebt: „Einst hatte Schottland große Fußballer wie Jim Baxter. Nun haben sie Baxter nur noch im Supermarkt“, als gleichnamige Suppenmarke.
Es ist die älteste Rivalität des Sports, die in den zwei Ausscheidungsspielen (Samstag in Glasgow; Mittwoch in London) wieder auflebt. Am 30. November 1872 trugen Schottland und England in Glasgow das erste Fußball-Länderspiel aus. 4.000 Zuschauer kamen zum Hamilton Cricket Ground, was den Veranstaltern 102 Pfund an Eintrittsgeldern einbrachte. Die Partie endete 0:0, war aber alles andere als langweilig, hat Ged O'Brien, der Direktor des schottischen Fußballmuseums, nachgelesen: „Die Schotten spielten mit revolutionärer Taktik: Sie passten den Ball.“ Die Engländer waren verblüfft. Sie waren es gewohnt, so lange mit dem Ball zu dribbeln, bis ein Tackling des Gegners sie stoppte: „Von da an wollte jedes Team in England einen schottischen Professor haben, der ihnen den Kombinationsfußball zeigen sollte“, sagt O'Brien.
Demnach hat sich seit damals gar nicht so viel getan: Zwar spielt England heute mit einer etwas ausgewogeneren Formation (1872 traten sie mit zwei Spielern in der Abwehr und acht im Angriff an), doch ein professoraler Übungsleiter wie der aktuelle schottische Nationaltrainer Craig Brown würde England auch 1999 gut tun. Während Brown mit Strategie aus einer Ansammlung gewöhnlicher Profis ein passables Team geformt hat, bilden beim Gegner viele Klassespieler wie Sol Campbell (Tottenham), David Beckham (Manchester) und Alan Shearer (Newcastle) eine einfallslose Elf. England offenbarte zuletzt einen irritierenden Mangel an Organisation und taktischer Finesse; nur mit Glück erreichte das selbst ernannte Mutterland des Fußballs hinter Schweden überhaupt Platz zwei in seiner EM- Qualifikationsgruppe und somit das Play-off. „Wir hatten nicht die Resultate, die der Qualität der Spieler entsprechen würden“, sagt Trainer Kevin Keegan, „dafür übernehme ich die Verantwortung.“
Tatsächlich muss sich der ehemalige HSV-Star fragen lassen, ob sein Ansatz der richtige ist. Er sieht sich „mehr als Cheerleader“ denn als Taktiker, schreibt der Guardian. Seine Teamsitzungen füllt Keegan mit Anweisungen wie die an Mittelfeldspieler Paul Scholes: „Geh raus und lass ein paar Bomben im gegnerischen Strafraum hochgehen.“
Und genau wie der Trainer redet, spielt England: Kraftvoll, aggressiv – ohne erkennbaren Plan. Keegan sagt: „Ich will, dass wir 90 Minuten volles Tempo spielen, nicht wie die Ausländer, langsam, langsam, schnell, schnell, langsam.“ Wie der moderne Weg nach vorne klingt das nicht.
Craig Brown erklärt: „Für unsere Fans wird England immer der größte Gegner sein, weil wir Schotten gegenüber dem Nachbarneinen Minderwertigkeitskomplex haben.“ Derweil fand der Schotte Hutchison auf seinem Platz in der Umkleidekabine beim FC Everton ständig dicke Broschüren – dezente Hinweise seiner englischen Teamkollegen, dass er für die Zeit der Europameisterschaft planen solle: Teneriffa, Mallorca, Ibiza – buchen Sie ihren Sommerurlaub jetzt, stand auf den Ferienkatalogen. Ronald Reng
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