piwik no script img

Lieben Sie mich, nur mich!

Konsumkultur zwischen Snobismus und Schnäppchenjagd: Die Avenue Montaigne in Paris    ■ Von Stefan Schomann

Eine kleine Parfümerie an der Avenue Montaigne versilbert die Düfte von damals. In beschlagenen Kristallurnen schimmert flüssiges Licht, smaragdgrün, bernsteingelb und amber, destilliert nach Rezepturen aus den Zwanzigern. Von dem Champagnerfarbenen ganz rechts, bitte! Mit einem Papierstreifen ködert die Verkaufsdame einige Moleküle und fächelt sie durch den Raum. Rosen mit Bergamotte geben die Kopfnote ..., dann etwas von der feinen Würze japanischen Tees ..., zu guter Letzt die Schleppe, das Kielwasser: eine Reminiszenz an Theaterluft, an Reispuder, an Frauen wie Sarah Bernhardt. Betörender noch als der Duft ist sein Name: N'aimez que moi – Lieben Sie nur mich.

Preis auf Anfrage, wie überall entlang dieser singulären Straße entschwebt er in die Stratosphäre. Die Avenue Montaigne ist für die Gläubigen der Weltreligion Mode eine Art Petersdom ohne Dach, in dessen Seitenschiffen ihre Heiligen wirken. Hier zu opfern heißt ihrer Gnade teilhaftig zu werden. Dabei genoss diese Straße bis Anfang des Jahrhunderts einen eher zweifelhaften Ruf. In alten Stadtplänen findet sie sich als Seufzer-, später auch als Witwenallee. Eugène Sue schildert sie in seinen Mystères de Paris als Laufsteg der Strolche und Huren.

Einträchtig reiht sich hier heute die Mehrzahl der rund zwanzig Modehäuser der Haute Couture aneinander. Sie prunken nur dezent. Man besitzt andere Mittel, Exklusivität auszudrücken, als über die Quadratmeterzahl. Das Brautkleid von Féraud, an dessen Saum allein drei Wochen lang genäht wurde, der bei Baby Dior maßgeschneiderte Strampelanzug, die Handtasche aus Straußenleder von Torrente oder die seidene Stola von Nina Ricci, die für den Gegenwert eines kleinen Gebrauchtwagens zum Verkauf steht – das ist Luxus. Ihn schüchtern zu schauen, überlegt zu erlernen oder aber gierig zu annektieren, pilgern die Heilssucher auf und ab. Sie kommen aus Frankfurt, Melbourne und Osaka, selbst aus Paris. Postsowjetische Neureiche kreuzen Hollywoodgrößen, Landpomeranzen überholen Von-und-Zus mit dreizeiligen Familiennamen. Zwei Mannequins stelzen schräg rüber ins Café.

Die Dienerinnen in diesen Tempeln sind von sagenhafter Arroganz, die nur vom hoffärtigen Gebaren der Stammkundinnen übertroffen wird. Undurchdringliche Uniformierte widmen sich befehlsgewohnten Matronen, welche ohne viel Federlesens die gesamte Kollektion kaufen könnten. Hier läuft S/M-Shopping. Die Fashion Victims erstehen nicht selten noch einen zusätzlichen Koffer für ihre Trophäen. Manche tragen das Hemd verkehrt herum, nur damit alle das Schild von Yamamoto sehen. Enthusiastische Afrikaner taufen ihre Kinder Kenzo oder Gianni Versace.

Die Modemacher selbst dagegen gehen kaum auf Einkaufsbummel. Bei Véronique Leroy etwa scheitert es an der fehlenden Muße. „Wir arbeiten Tag und Nacht, damit unsere Kunden um so hemmungsloser einkaufen können. Wenn ich mal zuschlage, dann meist auf einem Flughafen.“ Mit 35 Jahren gehört sie zu den Nachwuchsstars. Kokett rechnet sie sich ebenso zur Mode- wie zur Souvenirindustrie. „Geld ausgeben macht auf Reisen einfach mehr Spaß als daheim. Was kann eine Frau Besseres tun in Paris, als Mode zu kaufen.“ Nur den wenigsten Designern gelinge es, sich einen Namen zu machen, eine Marke zu etablieren. „Die aber wird dann wie von selbst zu einer Autorität, der man Stil und Stärke zuschreibt.“

Die Marken sind die Totems der Moderne. Sie stiften Sinn und Lebensart, vereinen ihre Käufer zu einer Clique von souveräner Unvernunft. Die Marken zielen auf ein Paradox: Exklusivität für alle. Höchste Individualität versprechend, leisten sie doch dem globalen Konformismus Vorschub. La griffe heißt das Markenzeichen im Französischen: die Kralle, die Klaue – ein Hinweis auf die Raubtiernatur der ganzen Branche. In der Katzentransportbox von Louis Vuitton führt sie sich selbst ad absurdum.

Die gleichen Artikel für einen Bruchteil des Preises dégriffé zu ergattern, wenn sie nämlich nach wenigen Monaten in darauf spezialisierten Boutiquen abgestoßen werden, um neuen teuren Travestien Platz zu machen, gehört zum beliebtesten Sport der Pariser. Sie brauchen keine Embleme. Sie erkennen die Handschrift der Designer auch in den Zweit- und Drittlinien fürs Volk, mit denen diese Kasse machen. Puristen freilich schaudert es beim Gedanken daran, wie die guten Stücke dort auf die Stange gequetscht und zum Fundus degradiert werden. Der Hochadel unter den Boutiquen stellt dagegen nur provozierend wenige Einzelstücke zur Schau, dort ist jeder Pullover ein Star.

Kai Schneider war jahrelang Geschäftsführer der Avantgarde-Boutique L'Éclaireur, einer eigenwilligen Spielart von Aufklärern also. Er bezeichnet sich selbst als Conseiller, als Bekleidungsberater. Zur hohen Schule der Verkaufspsychologie gehört zum Beispiel das Abschlagen von Wünschen: „Ein guter Conseiller wird einen Kunden eher nach Hause schicken, als dass er ihm etwas Falsches verkauft.“ Umgekehrt vermittelt er Stammkunden manchmal ganze Kollektionen am Telefon – das spart die Anreise. Die besten Käufe sind die Zufallskäufe. „Man will eigentlich gar nichts oder ganz etwas anderes – und dann passiert es: Liebe auf den ersten Blick.“

Einkaufen ist ein Akt des Optimismus. In den klassischen Sparten – Mode, Schönheitspflege, Accessoires – zeigt sich das Pariser Angebot in unvergleichlicher Fülle und Perfektion. Wer etwa den Kuppelsaal der Galéries Lafayette betritt, glaubt sich in Ali Babas Höhle. Alles blitzt von Gold und Glas und falschen Diamanten, dem „Sesam, öffne dich!“ der Kreditkarten tut sich das Reich der Luxusgüter auf. Unwirkliches Licht scheint durch die schwülstige Jugendstilkuppel, mit ihren Muschelbalkonen und dem floralen Dekor ein Stück Atlantis-Architektur, Gehäuse einer versunkenen Zivilisation.

In seinen Romanen „Au bonheur des dames“ und „Thérèse Raquin“ hat Émile Zola das Aufkommen der großen Warenhäuser geschildert, hat verfolgt, wie an Stelle enger Kaufläden helle Labyrinthe für Frauen geschaffen wurden. Wie ging es zu, dass die Damen ganze Stunden darin verbrachten und sich scharenweise zum Kauf verführen ließen, obwohl sie sich doch gerade noch „ohne Bedürfnis“ wähnten? Was die Schaufenster vorspiegelten, grenzte an Magie: „Selbst die dicken Tuchstücke schienen Versuchung auszuhauchen; die Mäntel aber pressten sich noch dichter um die scheinbar beseelt gewordenen Puppen, und der große Samtmantel, weich und warm, bauschte sich wie auf lebenden Schultern, wie über einer klopfenden Kehle und zitternden Hüften.“

Als Zolas Vorbild diente das Kaufhaus Au Bon Marché, das dem Namen nach bis heute besteht. Jedes der Grands Magasins bildet eine Stadt in der Stadt. Ob nun die Galéries Lafayette, das Samaritaine oder die Printemps – mit rund 80.000 Besuchern am Tag zählt ein jedes von ihnen zu den Hauptsehenswürdigkeiten von Paris. Die Krawatte von Yves Saint-Laurent ließe sich auch in Bielefeld kaufen. Doch diese hier kommt aus Paris! Mit der Ware erwirbt der Kunde auch etwas Unbezahlbares: eine Affäre. N'aimez que moi, flüstert die Stadt. Galéries Lafayette: 40, boulevard Haussmann (Métro Chausée d'Antin) Au Printemps: 64, boulevard Haussmann (Métro Havre-Caumartin) Samaritaine: 19, rue de la Monnaie (Métro Pont-Neuf) Au Bon Marché: 38, rue de Sèvres (Métro Sèvres-Babylone)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen