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Angebot – Dementi – Angebot?

In der sechsten Verhandlungsrunde zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter hängt alles von einer substanziellen Erhöhung des Industrieangebots ab. Chefmoderator Lambsdorff schließt Scheitern nicht aus  ■   Von Christian Semler

Berlin (taz) – Der Beginn der gestrigen, sechsten Verhandlungsrunde um die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter schien den lang ersehnten Zusammenbruch der deutschen Unternehmer-Blockade zu bringen. Rechtsanwalt Ed Fagan gab gegen Mittag bekannt, die Vertreter der „Industriestiftung“ hätten ihr Angebot von vier auf sieben Milliarden Mark erhöht, so dass jetzt eine Gesamtsumme von zehn Milliarden Mark zur Verfügung stünde. Was freilich noch weit unter der Mindestforderung der amerikanischen Seite läge. Der Knalleffekt dieser publicitywirksamen Mitteilung war kaum verhallt, als schon das Dementi des Stiftungs-Sprechers Wolfgang Gibowski folgte: „Das ist absoluter Unfug, es gibt keine Erhöhung des Angebots.“ Nimmt man dies zum Nennwert, dann ist nicht nur das Scheitern dieser Runde, sondern des gesamten Verhandlungsprozesses vorgezeichnet.

Der deutsche Chefmoderator Graf Lambsdorff hatte gestern exakt dieses Scheitern nicht ausgeschlossen, „wenn nicht von allen Seiten Kompromissfähigkeit gezeigt wird“. Formal richtete sich Lambsdorffs Appell an die gesamte Konferenz, also die Opferverbände, Regierungsvertreter und Anwaltskanzleien. Der Sache nach war die deutsche Industrie gemeint, hatte doch Gibowski am Vorabend der Bonner Verhandlungsrunde erklärt, von den vier bis jetzt zugesagten Milliarden seien nur zwei durch Zusagen der rund fünfzig (offen oder schweigend) entschädigungsbereiten Firmen abgedeckt. Weshalb an eine weitere Erhöhung der Gesamtsumme nicht zu denken sei. Gerade um diese Haltung aufzubrechen, bearbeiteten am gestrigen Vormittag Lambsdorff und sein amerikanischer Gegenpart Stuart Eizenstatt den Finanzchef von Daimler-Chrysler, Manfred Gentz, einen der Initiatoren der Stiftungsinitiative. Falls es ein Ergebnis gab, wird es erst heute Abend bekannt gemacht werden.

Zu Beginn der gestrigen Runde hat Lambsdorff ziemlich präzise sowohl den Verhandlungsstand als auch seine Gemütslage zusammengefasst. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen kann und ob es überhaupt weitergeht.“ Wie nah die Gespräche wirklich dem Scheitern sind, beweist ein Brief, den die Anwälte Melvyn Weiss und Deborah Sturman gestern an den Grafen richteten. Nur der Respekt vor seinen deutlichen Worten an die Wirtschaft habe die US-Seite davon abgehalten, die Verhandlungen zu verlassen. Die bislang angebotene Summe sei angesichts der finanziellen Möglichkeiten der deutschen Unternehmer „demütigend gering“.

Die deutsche Seite sieht Demütigungen auf einem ganz anderen Feld. Der Zorn der Stifter wie auch Lambsdorffs konzentrierte sich gestern auf die Berechnungen, die Thomas Kuczynski von der Bremer Stiftung für Sozialgeschichte vorlegte. Unter Verwendung der Grundrechenarten kommt er zu einer Gesamtforderung von 180 Milliarden Mark der Zwangsarbeiter und ihrer Erben an Unternehmen und Staat. Solche Berechnungen, so Lambsdorff, seien „unseriös“ und dem Verhandlungsprozess „wenig förderlich“.

Unerwartete Unterstützung erfuhren die ehemaligen Zwangsarbeiter durch den Vertriebenenpolitiker Hupka: Nicht das Ob, sondern das Wie und der Umfang stünden zur Debatte. In der Tat.

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