Normalzeit: Dagobert for President!
■ Von Helmut Höge
Trägt nicht alles, was uns begeistert, die Farbe der Nacht?“, frohlockte Novalis einst. Man möchte sich nun dennoch die Haare nächtens raufen: Da werden die größten Kriminellen respektable Geschäftsleute und sitzen bei Tennnisvereinen und Hertha BSC in den VIP-Logen bzw. sammeln sich im fotznoblen Verein der Freunde der italienischen Nationalgalerie, da macht man ferner die elendsten Rassisten und hemmungsslosesten Populisten zu hoch gehandelten Politikern. Wenn aber mal wirklich ein toller, sympathischer wie kluger Verbrecher auf den Partys und Events dieser Ekelbande auftaucht – wie Arno Funke alias Dagobert –, dann schreien alle „Skandal!“.
Dabei ist er wirklich fast der Einzige, mit dem man durch dick und doof gehen möchte! Die Bild-Zeitung und der Justizsenator versprechen jedoch kreischend: „Derartige Missbräuche sollen künftig nicht mehr vorkommen!“ Auch der Chef der Deutschen Kriminalbeamten, Holger Bernsee, schimpft: „Er wird wie ein Prominenter behandelt. Mit Resozialisierung hat das nichts mehr zu tun.“ Dahinter steckt die Angst, kritische Kriminelle wie Funke könnten bei den Massen beliebter sein als alle Peinsack-Polizisten, -Politiker und -Dussmänner. Dabei ist diese ganze Medienbande gegenüber Funke nicht einmal satisfaktionsfähig. Der Tagesspiegel entblödet sich nicht, dazu eine breit angelegte „Pro & Contra“-Debatte mit Hotline in sein mürbes Sonntagsblatt zu hieven.
Im Anschluss an eine Funke-Lesung in Marzahn kam ich mit einem Polizisten und einem Politiker ins Gespräch. Sie waren sauer, nahezu täglich auf Dagoberts pfiffiges Gesicht in der Zeitung zu stoßen. Ich war sauer, nahezu täglich etwas über bzw. von Politikern und Polizisten lesen zu müssen. Das sei aber doch ein gewaltiger Unterschied, meinten sie: Während „wir“ für Recht und Ordnung sorgen, stünden „Typen wie Dagobert“ für Unrecht und Anarchie. Das genaue Gegenteil sei der Fall, konterte ich: Während Arno ein absolut integrer Typ sei, würden sie – meine beiden Gesprächspartner – für grenzenlosen Opportunismus und Machtschleimerei stehen. Seien also mithin eher das gesamtgesellschaftliche Übel als effektiver Hebel zu dessen Beseitigung. Da müsse ich aber konkrete Beweise beibringen – meinte der Polizist pikiert. Ich wollte ihm nun nicht damit kommen, dass ich dreimal mit einer Bullen-Tochter liiert war – somit die gähnende Höhe zwischen privater und staatlicher Gesetzesverkörperung kenne und daher für die Marktwirtschaft auch und gerade bei Staatsapparat und Sicherheit votiere. Stattdessen berichtete ich über eine Razzia im Billigpuff Hermannstraße „73“ neulich. Wir Männer saßen alle in einem Raum, die Mädchen im anderen. Zwei junge geile Spunde drängten die Frauen, vergeblich, endlich anzufangen. Da stürmten zwölf Bullen – vom BKA und von der „Sitte“ – das Lokal. Die beiden Spunde versuchten daraufhin, uns gegen sie aufzuwiegeln – ebenfalls vergeblich. Es waren zivil verkleidete Polizisten, die sehr stolz auf ihr „Provokationsschauspiel“ waren, wie sie mir hinterher selbst gestanden. Fünf laut weinende russische Prostituierte mussten, weil ohne Papiere, dran glauben. Auch diese „Erfolgsquote“ machte sie glücklich. „Ist das nicht ein wahrhafter Schweinejob – wie kann man bloß die heimtückische Jagd auf diese harmlosen ausländischen Mädchen derart gutheißen?“ Und alles weitere folge daraus: „Die Fälle, da Polizisten mit Zuhältern und Puffbesitzern, z. B. am Stuttgarter Platz und in Karlshorst, gemeinsame Sache auf Kosten der Frauen machten, sind Legion!“ Andersherum habe Funke z. B. sein mühsam erpresstes Vermögen für arme Ausländerinnen ausgegeben, d. h. für Flugreisen – mit einer Polin, einer Koreanerin und einer Philippina: „Das nenne ich politisch korrekt! Und nichts anderes!“
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