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Ein Belgier zersägte die Leiche

Der Mord an Kongos Befreiungsheld Patrice Lumumba 1961 erregte ganz Afrika. Nun stellt sich die Kolonialmacht Belgien ihrer Mittäterschaft und rollt den Fall neu auf ■ Von François Misser

Brüssel (taz) – Das belgische Parlament will eine Untersuchungskommission einrichten, die die Todesumstände der Ermordung des kongolesischen Befreiungshelden Patrice Lumumba untersuchen soll. Eine entsprechende Initiative des Außenministers Louis Michel, unterstützt von Premierminister Guy Verhofstadt, fand am 9. Dezember die Zustimmung des Unterhauses.

Lumumba, legendärer Premierminister des einstigen Belgisch-Kongo, war am 17. Januar 1961 unter noch immer nicht restlos geklärten Umständen ermordet worden. Dieses Jahr veröffentlichte der belgische Soziologe Ludo de Witte darüber ein Buch voller explosiver Enthüllungen. Das Werk mit dem Titel De Moord op Lumumba beruht auf Einsicht in Tonnen freigegebener Akten und weist klar auf eine Verantwortung des belgischen Staates hin.

Bekannt ist, dass der US-Geheimdienst CIA Lumumbas Eliminierung wünschte – neu ist, dass es einen rivalisierenden belgischen Plan mit demselben Ziel gab. Belgien fürchtete um die Zukunft der belgisch kontrollierten Kupfer- und Kobaltminen der südkongolesischen Provinz Katanga. De Witte zitiert eine Direktive des belgischen Afrikaministers Harold d’Aspremont Lynden vom 5. Oktober 1960: „Das im Interesse Kongos, Katangas und Belgiens zu verfolgende Hauptziel ist selbstverständlich die endgültige Eliminierung Lumumbas.“

Lumumba war im September 1960 im Laufe der Wirren, die auf Kongos Unabhängigkeit folgten, vom Posten des Premierministers entlassen worden. Am 1. Dezember verhafteten ihn Soldaten unter dem für die CIA arbeitenden Oberst Mobutu. Der belgische „Plan Barracuda“ sah dann vor, ihn der Lumumba-feindlichen Sezessionistenregierung der Provinz Südkasai auszuliefern. Deren Armee wurde vom belgischen Oberst Gillet (Spitzname „Großes Känguru“) befehligt.

Da aber der dortige Flughafen in UN-Händen war, wandte sich Belgien an einen anderen Sezessionistenstaat: Katanga, geführt vom Belgienfreund Moïse Tschombé. Tschombé nahm Lumumba entgegen, und der wurde am 17. Januar 1961 im Busch erschossen. Belgische Offiziere, die zum Dienst in Katangas Gendarmerie freigestellt waren, bewachten den gefangenen Lumumba, schreibt De Witte. Ein Belgier kommandierte das Hinrichtungskommando. Ein anderer Belgier im Dienst der katangischen Polizei, Gerald Soete, berichtete in einem Fernsehinterview, dass er die Leichen Lumumbas und seiner zwei Todesgenossen zersägte und die Stücke in Säure auflöste. Soete, der nach eigenen Worten davon immer noch Alpträume hat, behielt zwei von Lumumbas Zähnen für sich, die er allerdings inzwischen in die Nordsee geworfen hat.

Auch an die UNO richtet De Witte schwere Vorwürfe. Blauhelmsoldaten aus Ghana sollten Lumumba schützen, taten es aber am Schluss nicht mehr – auf Befehl ihres kommandierenden schwedischen Generals.

Würde die geplante Untersuchungskommission De Wittes Anschuldigungen bestätigen, liefe dies auf eine Anerkennung der Schuld des belgischen Staates am Tode Lumumbas hinaus. Strafrechtlich gesehen, erklärt der Völkerrechtler Eric David, ist die Tat allerdings seit 1981 verjährt. Und alle direkt beteiligten belgischen Politiker sind verstorben.

Was ist also der Sinn der Untersuchungskommission? Belgiens neue linke Koalition könnte einfach geneigt sein, so schätzt der Historiker und Lumumba-Biograf Jean-Claude Willame, ihren rechten Vorgängern Schwierigkeiten zu machen und sich zugleich bei Kongos Präsidenten Laurent Kabila einzuschmeicheln, der sich als Erbe Lumumbas sieht.

Aber die Untersuchung könnte auch die alten Spaltungen der kongolesischen Politik wieder aktuell werden lassen. In Kabilas Regierung sitzt sowohl Lumumbas Tochter Julienne wie Tschombés Tochter Isabelle. Patrice Lumumbas Cousin Albert Onawelho Lumumba, im Londoner Exil lebender Führer von Lumumbas „Kongolesischer Nationalbewegung“ (MNC-L), ist vor einer Untersuchungskommission aussagebereit – er will aber gleichzeitig von Kabila Aufklärung über dessen Rolle am Tod führender Lumumbisten, zuletzt der 1997 ermorderte André Kisase Ngandu. Angehörige des katangischen Sezessionistenführers Tschombé wiederum wollen von Belgien Aufklärung über dessen mysteriösen Tod – Tschombé wurde 1965 aus Kongo entführt und später in Algerien ermordet.

Außerdem sind auch andere afrikanische Befreiungskämpfer von ihren Kolonialmächten getötet worden, vor allem in französischen Kolonien – Felix Moumié in Kamerun und Medi Ben Barka in Marokko zum Beispiel. Eine Lumumba-Kommission könnte der Beginn einer Aufarbeitung der schmutzigen Geschichte von Afrikas Entkolonialisierung sein.

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