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Kammerwahlrecht undemokratisch

■ Bremer Verwaltungsgericht sieht „Verletzung demokratischer Prinzipien“ im Wahlrecht für die Arbeitnehmerkammern

Das Wahlrecht für die Bremischen Arbeitnehmerkammern, das die Kandidatur praktisch auf die etablierten Gewerkschaften beschränkt, ist 1985 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Das bremische Verwaltungsgericht hat nun festgestellt, dass die daraufhin 1986 geänderte Fassung des Gesetzes vermutlich auch verfassungswidrig ist. Diese Frage wurde dem Staatsgerichtshof zur Klärung vorgelegt.

Alle im Lande Bremen beschäftigten Arbeiter und Angestellten sind Zwangsmitglieder ihrer jeweiligen Kammer, die Beiträge von 0,15 Prozent des Bruttolohnes werden wie die Kirchensteuer vom Finanzamt direkt eingezogen und an die Kammern überwiesen.

Solche Arbeitnehmerkammern als Körperschaften, die es neben Bremen nur im Saarland gibt, sind rechtlich möglich, hatte das Bundesverfassungsgericht 1985 erklärt. Wenn alle Arbeitnehmer automatisch Mitglieder sind, dann müssen sich diese Kammern aber „auf das Votum von Organen stützen können, in denen mutmaßlich die Anschauungen aller Arbeitnehmer zu Wort kommen und gegeneinander abgewogen sind“.

„Vollversammlung“ heißen die Sitzungen der gewählten Organe der Arbeitnehmer. In diesen Vollversammlungen sitzen in Bremen allerdings nur zwei Dutzend Gewerkschaftsvertreter, oftmals hauptamtliche Funktionäre. Die zur Listen-Aufstellung berechtigten Gewerkschaften können sich sogar auf dem Verhandlungswege darauf verständigen, eine Wahl einfach ausfallen zu lassen.

Als Sperrklausel steht im bremischen Kammergesetz, dass eine neue Liste mindestens ein Jahr vorher bestehen und mindestens 125 beitragszahlende Mitglieder haben muss. Diese Klausel sollte spontane Kandidaturen verhindern und auch die Aufstellung von „Betriebslisten“, über die die Belegschaften von Großbetrieben möglicherweise die Kammern dominieren könnten.

Das Verfassungsgericht hatte allerdings schon 1985 klar formuliert: „Vorkehrungen, die darauf abzielen, bereits die Wahlteilnahme von Vorschlägen kleinerer, möglicherweise weniger am Gemeinwohl aller Arbeitnehmer denn an der Vertretung punktueller Interessen orientierter Vereinigungen zu unterbinden, sind ... sachlich nicht gerechtfertigt“.

Das Bremer Verwaltungsgericht stellte nun fest: „Die Realität der Arbeitnehmerkammern entspricht gegenwärtig nicht dem vom Bundesverfassungsgericht vorausgesetzten Konzept.“

Vor Gericht waren zwei Arbeitnehmer gezogen, die aus dem Kammern austreten wollten. Dies sei nicht möglich, stellte das Verwaltungsgericht fest, allerdings „könnten sich die Kläger auf die Verletzung demokratischer Prinzipien bei den Wahlen zur Vollversammlung berufen“. K.W.

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