Ehrenworte geben Politiker, wenn ihnen niemand mehr glaubt: Italien freut sich über Kohl
So ganz genau haben sie noch immer nicht herausbekommen, was der Kohl da eigentlich verbrochen haben soll: Dass er ein paar Millionen Mark eingesackt hat, ja, das ist auch den Italienern klar, dass er sie an verdiente Parteifreunde weitergeleitet hat, ebenfalls. Aber wo steckt nun das Verbrechen? Illegale Parteienfinanzierung? In Italien gilt das zwar als kriminell, zu ahnden mit bis zu vier Jahren Gefängnis – in Deutschland aber ist es, wie man hört, nicht strafrechtlich verfolgbar. Außerdem: Das Geld war ja offenbar gar nicht für die Partei bestimmt, sondern für „Freunde“. Also allenfalls Steuerhinterziehung, weil nicht als Geschenk angemeldet, oder?
Stattdessen hantieren die Deutschen mit dem Begriff „Untreue“. Verstehe einer diese Germanen. Im italienischen Strafgesetzbuch gibt es diesen Begriff gar nicht: So behilft man sich mit „Malversazione“, was wiederum eher der Unterschlagung im Amt entspricht. Steckt jemand einem Amtsträger für irgendeinen institutionellen Zweck Gelder zu und der gibt sie nicht an den vorgesehenen Adressaten weiter, ist es „Malversazione“, mit bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Aber Kohl hat’s ja vielleicht gar nicht als Kanzler bekommen, sondern einfach so, als Parteichef allenfalls oder vielleicht sogar nur als Freund von Freunden, die's nötig hatten. Schon kursieren Überlegungen, ob man Italiens dutzendweise verurteilte Parteigrößen nicht auch hätte davonkommen lassen müssen, wären sie nur auf Kohls Verteidigungslinie verfallen und hätten nicht einfach behauptet, sie hätten eben ein korruptes System vorgefunden und es nur benutzt wie alle vor ihnen?
Immerhin: Da sich die Deutschen so mächtig aufregen, muss wohl etwas dahinterstecken, so weit sind sich sich die Italiener einig; zu kommentieren getrauten sie es sich allerdings nicht, die meisten Zeitungen behalfen sich mit Übersetzungen deutscher Kommentare. Wo Artikel aus italienischer Feder erschienen, zeigte sich freilich eine ganz und gar nicht klammheimliche Freude darüber, dass nun, mit Verspätung zwar, aber immerhin, auch der gerne als Praeceptor Europae aufgetretene Kohl mächtige Probleme mit der Justiz hat.
Oder liegt Kohls Fehler in italienischen Augen vielleicht nur darin, dass der Kanzler mit einem angeblich gegebenen Ehrenwort hantiert, das ihm nun, wiederum angeblich, gar über die Verfassung geht? Nicht dass die Italiener ihre „Costituzione“ etwa höher achten würden als die Deutschen ihr Grundgesetz. Aber Ehrenworte haben nach italienischer Meinung in der Politik absolut nichts verloren. Silvio Berlusconi kann ein Lied davon singen: Er hat einmal aufs Haupt seiner Kinder geschworen, niemals geschmiert zu haben, es wurde ihm als blanker Frevel ausgelegt und kostete hunderttausende Stimmen.
Was wäre das auch für ein Politiker, der keinen Dreck am Stecken hat? Muss einer sich auf Ehrenworte zurückziehen, so viel steht im Süden fest, bedeutet dies lediglich, dass ihm sowieso niemand mehr glaubt. Werner Raith
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