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Plötzlich trumpfen die Jungen auf

American Pie: Rechtzeitig zu den Playoffs hat eine neue junge Generation von Quarterbacks das Kommando in der National Football League übernommen ■ Von Thomas Winkler

And I dig those rhythm and blues

Kaum war die reguläre Saison der National Football League (NFL) beendet und endlich klar, wer ab kommendem Wochenende die Super-Bowl-Teilnehmer ermitteln darf, brach bei den Verlierern der Liga hektische Betriebsamkeit aus. Am Montag feuerten die New England Patriots ihren Chefcoach Pete Carroll und die Green Bay Packers gleich ihren gesamten Trainerstab. Und beim vormaligen Titelfavoriten New York Jets, die verletzungsbedingt eine katastrophale Saison spielten, ging Bill Parcells gleich freiwillig in den Ruhestand. Er sei halt zu alt zum Verlieren, meinte der 58-Jährige.

Nun geht die NFL nicht nur mit ein paar freien Stellen in gehobenen Führungspositionen in ihre entscheidenden Wochen, sondern vor allem mit einer grundsätzlichen Wachablösung auf der wichtigsten Position im Football: Lange schon nicht mehr waren Quarterbacks so jung schon so erfolgreich. Jahrelange Erfahrung, bislang unverzichtbar für einen Football-Spielmacher, scheinen plötzlich nicht mehr so wichtig.

Die Alten danken ab. Mit Doug Flutie (37) von den Buffalo Bills und Dan Marino (38) von den Miami Dolphins erreichten zwar zwei ganz altgediente Veteranen an den Schaltstellen ihrer Teams noch einmal die Playoffs, aber in Miami wird schon lange eher über den Rücktritt von „Dan The Man“ spekuliert als über die dünnen Super-Bowl-Chancen der Dolphins. Auch in Minnesota stehen sich am Sonntag mit Jeff George (32) für die Vikings und dem Dallas Cowboy Troy Aikman (33), der so viele Spiele wie kein anderer Quarterback in den 90ern gewonnen hat, zwei ältere Semester gegenüber. Der zweimalige Most Valuable Player Brett Favre (30) spielte für Green Bay nur eine unterdurchschnittliche Saison, und Steve Young (38) berät nach der sechsten schweren Gehirnerschütterung seiner Karriere nur noch die Ersatz-Quarterbacks der San Francisco 49ers und wird seine Karriere jetzt wohl beenden.

Der Nachwuchs stellt alte Football-Weisheiten auf den Kopf. Bisher ging man davon aus, dass ein Quarterback mindestens zwei, eher drei oder vier Jahre braucht, um den Übergang vom College zu den Profis zu schaffen. Schon allein, weil die Systeme wesentlich komplizierter sind. Mehr als hundert einstudierte Spielzüge hat jedes Profiteam im Angebot; das bedeutet: Mehrere hundert Laufrouten von Passempfängern, eigene Schrittfolgen und Dutzende von Blockschemata lernen – und dann, während 130 Kilo schwere Verteidiger auf einen zurollen, in Sekundenbruchteilen entscheiden, wer angespielt werden muss, und dann noch den Pass exakt anbringen.

Neben Athletik sind Führungsqualitäten, Intelligenz und vor allem Fleiß gefragt. Daran sind schon viele hoffnungsvolle Talente verzweifelt, die nach großartigen Leistungen am College sich niemals in der NFL durchsetzen konnten. Jetzt aber scheint nichts mehr so, wie es einmal war.

Schon Nachwuchstalenten wie Steve McNair (26, Tennessee Titans) oder Charlie Batch (25, Detroit Lions) werden in den Playoffs Chancen eingeräumt, ganz groß herauszukommen. Noch mehr gilt das für Shaun King, der mit 22 Jahren bei den Tampa Bay Buccaneers auftrumpfte. Über ihn sagt sein Manager Rick McKay: „Shaun würde sich niemals für irgendeinen Quarterback-Schönheitswettbewerb qualifizieren. Er ist zu klein, ein bisschen pummelig und nicht der Allerschnellste.“ Zur Überraschung aller brachte sein Einsatz mitten in der Saison die bis dahin stotternde Offensive der Bucs in Gang. Mit ihm und ihrer überragenden Defense gehören die Buccaneers nun zu den Topfavoriten auf das Erreichen der Super Bowl am 30. Januar in Atlanta. „Ich weiß nicht, was ein Quarterback braucht, um besonders gut zu sein“, stellte McKay fest, „aber Shaun hat es. Er ist ein Gewinner.“

Kings größte Qualitäten sind trotz seines Alters Souveränität und Ruhe. Ähnliches lässt sich auch von Peyton Manning (23) sagen. Doch im Unterschied zu King war das erwartet worden. Schon seit der Highschool-Zeit galt der Sohn von Archie Manning, in den 70ern selbst ein hervorragender Quarterback, als eines der größten Football-Talente aller Zeiten und wurde von Scouts der Profiteams mit Argusaugen verfolgt. Bereits im College waren seine penible Vorbereitung und seine stundenlangen Videoanalysen des Gegners berüchtigt. Trotzdem gab es Bedenken: Experten hatten den Colts in der letzten Saison oft vorgeworfen, Manning zu verheizen. Nun ist er in seinem zweiten Jahr und wird von denselben Experten bereits zu den drei besten Quarterbacks der Liga gezählt.

Experten waren es auch, die glaubten, dass aus Kurt Warner niemals was wird. Der Quarterback des Überraschungsteams St. Louis Rams ist zwar bereits 28 Jahre alt, aber erst in seinem zweiten Jahr in der NFL. Scouts hatten jahrelang abgewunken. Sein Geld verdiente er in einem Supermarkt und drei Jahre lang in der Arena League, wo in Hallen auf einem engeren Feld mit kleineren Mannschaften gespielt wird. Zuletzt war er eine Saison in der NFL Europe für die Amsterdam Admirals aktiv. Wie Shaun King kam auch er zunächst nur wegen Verletzungen des etatmäßigen Quarterbacks zum Einsatz. Warner, der nur das Minimalgehalt der Liga von 250.000 Dollar bekommt, machte das Bestmögliche daraus und lässt seinen Coach Dick Vermail jubeln: „Zuerst war ich ein Trottel, und innerhalb weniger Wochen machte Kurt ein Genie aus mir.“ 41 Pässe warf Warner, die direkt zu einem Touchdown führten. Mehr hat nur der gute alte Dan Marino einmal geschafft. Und das war vor fünfzehn Jahren.

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